"Der Kopf liegt auf der faulen Haut,
lässt durch die Welt sich tragen,
er trinkt und isst und schnauft und schaut,
weiß immer was zu sagen..."
so beginnt ein Zeugnisspruch. Ist es erhebend und erbauend für eine Kinderseele, wenn sie das ständig sagen muss? Die Kinder sind heute sehr sensibel für die Zwischentöne.
In einer Ausführung zu den Zeugnissprüchen heißt es:
"Nach und nach wählte ich für jedes Kind ein geeignetes Bild aus und gestaltete daraus einen Spruch. Die Kinder bekommen ja durch ihren Spruch gewissermaßen einen Spiegel vorgehalten."
Sich ständig den Spiegel vorhalten müssen? Und in ihm eine unschöne Seite preisgeben müssen, öffentlich vor der Klasse. Das ist verletzend!
So etwas kann man nur ganz indirekt als Lehrer in einer sehr, sehr geschickt verpackten sinnigen Geschichte tun, ohne dass das Kind und die Klasse das Geringste davon bemerkt.
Zeugnissprüche müssen heute eine durchgängig deutlich positve und erhebende Grundstruktur haben. Wir stärken Kinder, indem wir ihre positiven Kräfte ansprechen, nicht ihre negativen Eigenschaften andeuten.
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Sammlung von Hinweisen zu Zeugnissprüchen
Der erste Hinweis Steiners auf die Zeugnissprüche:
"Dr. Steiner:
Da sind wir einig, daß wir die Zeugnisse ausstellen wie im vorigen Jahr. Ein möglichst treues Bild. Unten wiederum für jedes Kind einen Spruch ins Zeugnis, der für die Individualität des Kindes richtunggebend sein kann, als Leitmotiv für die Zukunft. (GA 300a - S.285)"
Dies ist ein späterer Hinweis Rudolf Steiners zu den Zeugnissprüchen:
„Das Kind bekommt, wenn es am Schluss des Jahres in die Ferien geht allerdings ein Zeugnis. Da steht aber eine Art vom Lehrer ganz individuell für das Kind verfasstes Spiegelbild drinnen, etwas Biographisches über das Jahr, und es hat sich überall gezeigt, die Kinder nehmen das mit einer großen Befriedigung auf. Sie lesen da ihr Bild, das man entwirft mit einem entsprechenden Wohlwollen, aber durchaus nicht gefärbt, nicht etwa, dass man etwa irgendwelche Schönfärberei dabei übt. Sie nehmen das mit einer großen Befriedigung hin. Und dann lassen wir einen Spruch folgen, ganz individualisiert für jedes Kind, den jedes Kind in sein Zeugnis hineingeschrieben bekommt. Und dieser Spruch bildet dann für das nächste Jahr eine Art Lebensgeleitspruch. Das ist etwas, was sich, wie ich glaube, schon bewährt hat und auch später noch bewähren wird, mag man es auch sonst nach einem in den letzten Jahren in Deutschland beliebt gewordenen Ausdrucke „Zeugnisersatz» nennen.“ (GA 303, S. 155)
Im (internen) Lehrerrundbrief Juli 2010 geht Christoph Wiechert auf die Gliederung des Hauptunterrichtes ein. Er stellt dabei die Frage besonders nach der Länge des rhythmischen Teiles. „Auf jeden Fall darf es nicht zu lange gehen mit dieser Einstimmung, denn der Morgen wird noch vieles bringen... Wie wirkt es auf die Kinder, wenn dieser Teil sich über eine halbe Stunde ausdehnt, oft sogar eine Dreiviertelstunde in Anspruch nimmt?...“
Es folgen nun viele weitere wichtige Fragen und Anregungen, Gewohnheiten des Hauptunterrichtes einmal neu zu bedenken:
„Der ‚Rhythmische Teil’ bekommt Ritualcharakter, wenn zum Beispiel die Schüler der sechsten Klasse am Wochentag ihres Geburtstags ihren Zeugnisspruch vor der Klasse aufsagen müssen. (Wir sehen jetzt ab von der Frage ob diese Gewohnheit psychologisch diesem Alter angemessen ist.) An sich ist die Gewohnheit nicht schlecht. (Auch wenn man nach einem halben Jahr doch hoffen muss, dass der Spruch sich erledigt hat: Der Schüler hat sich weiter entwickelt, über den Spruch hinaus.) Ist dieser Vorgang aber nicht gegriffen, sieht man das Ritual: ein möglichst uninteressierter Schüler sagt seinen Spruch vor einer gelangweilten ‚Masse’ Schüler auf. Der Vorgang bringt niemandem etwas, dauert aber, ab einer gewissen Klassenstärke leicht zehn bis fünfzehn Minuten. Zählt man dazu die übrigen Elemente dieses Morgenteiles, ist schnell kostbarste Zeit verflogen."
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Zum konkreten Umgang mit den Sprüchen:
Nehmen wir einmal an, ein Schüler macht bei seinem Zeugnisspruch immer einen bestimmten Fehler, dann wäre die eine Handlungsmöglichkeit, den Fehler zu korrigieren.
So würden die meisten Menschen reagieren.
Diese Handlungsweise könnte man als die normale bezeichnen.
Eine andere Möglichkeit ist die, sich zu merken, dass der Schüler an einer bestimmten Stelle einen Fehler machte. Eine Woche später, würde man dann, bevor der Schüler zu sprechen beginnt, in geschickter Weise gerade diese Stelle hervorheben: "Du hast da eine besonders schöne Stelle in deinem Spruch, lasse deine Stimme da recht klar und hell erklingen...(man spricht betont vor)"
So merkt er gar nicht, dass er einen Fehler machte, und spricht jetzt richtig.
Das wäre als eine pädagogische Vorgehensweise anzusehen.