Mittwoch, 31. März 2010

Das Lesenlernen im Lichte der modernen Hirnforschung

Vor kurzem veröffentlichte ich einen Text zum Lesenlernen :

http://joveniden.blogspot.com/2010/03/lesen-lernen.html

Nun fand ich einen aktuellen Artikel, der sich an meine Ausführungen sinnvoll anschließt:

Schulbücher machen Kindern das Lesen schwer

Quelle: http://www.welt.de/wissenschaft/article6990478/Schulbuecher-machen-Kindern-das-Lesen-schwer.html


30. März 2010

Das Lesen eines Buches ist nicht für alle Schüler ein Vergnügen und bereitet einigen sogar große Schwierigkeiten. Dabei könnten die Texte viel leichter aufgenommen und gespeichert werden, wenn ein paar Regeln beachtet würden. Der Hirnforscher Ernst Pöppel erklärt, warum vielen Kindern das Lesen so schwer fällt.

WELT ONLINE: Eltern und Lehrer beklagen, dass viele Kinder nicht mehr richtig lesen können. Warum ist das so?

Ernst Pöppel: Lesen ist eine der unnatürlichsten Tätigkeiten des menschlichen Gehirns. Deswegen wundert es mich nicht, dass sich Kinder und auch immer mehr Erwachsene vom Lesen abwenden. Das Gehirn hat im Laufe der Evolution keine Strukturen entwickelt, die optimiert für das Lesen wären. Lesen ist ja eine noch recht junge kulturelle Erfindung, die es erst seit rund 4000 Jahren gibt. Die Entdeckung, dass gesprochene Sprache in grafische Elemente umgewandelt werden kann, war die bislang größte Kulturrevolution in der Geschichte der Menschheit.

WELT ONLINE: Was folgt daraus für die Kinder mit Leseschwierigkeiten?

Pöppel: Das menschliche Gehirn wehrt sich geradezu gegen Lesen. Das anstrengungslose Lernen und Verarbeiten von Informationen wird durch Lesen eher behindert. Diese Erkenntnis der Hirnforschung muss man kennen, wenn man Kindern mit Leseschwierigkeiten helfen will.

WELT ONLINE: Wäre es also besser, Informationen verstärkt über Bilder zu vermitteln?

Pöppel: Wir können Informationen über Bilder jedenfalls mit deutlich weniger Anstrengung aufnehmen. Schließlich beschäftigt sich ja die Hälfte des menschlichen Gehirns mit der Verarbeitung von visuellen Informationen. Bevor der Mensch das Lesen lernte, wurde Wissen aus Gehörtem und bildlicher Repräsentation im Gehirn erzeugt. Daran waren beide Gehirnhälften beteiligt. Die Fähigkeit zu lesen hat uns dann zwar den Zugriff auf sehr viel größere Informationsmengen ermöglicht. Durch das Lesen, also der Abstraktion von Gesprochenem, konnte das Wissen vom einzelnen Menschen getrennt und in Büchern und Archiven gespeichert und weitergegeben werden. Doch wir üben da eine Tätigkeit aus, die uns von der Evolution nicht mitgegeben wurde. Der Wirkungsgrad der Wissensvermittlung durch Lesen ist unglaublich gering, wenn man sich nicht gewaltig konzentriert. Wenn ich einen wissenschaftlichen Text lese und seine Bedeutung verstehen will, erfordert das eine hohe Konzentration. Nur mit harter Arbeit lässt sich die Sache durchdringen. Doch jeder kennt auch, dass man bisweilen oberflächlich über einen Text hinwegliest und sich anschließend fragt, was man da überhaupt gelesen hat. Man nimmt also keine Informationen auf. Anders ist das beim Lesen von Gedichten, Novellen oder Romanen. Dabei entsteht in mir selber ohne Anstrengung eine individuelle Geschichte mit meinen inneren Bildern. Die kann ich mir dann viel besser merken.

WELT ONLINE: Was kann man tun, damit Schüler die Inhalte von Schulbüchern besser aufnehmen und behalten?

Pöppel: Die wichtigste Voraussetzung für die Aufnahme von gelesenen Informationen ist die Konzentration. Ohne sie kann man die Bedeutung von Gelesenem nicht wirklich erfassen und verstehen. Schüler, die sich nicht ausreichend konzentrieren können, haben eben auch Schwierigkeiten beim Lesen.

WELT ONLINE: Wie lässt sich deren Lese- und Lernfähigkeit verbessern?

Pöppel: Den jungen Menschen steht heute ein Übermaß an Bildlichkeit anstrengungslos zur Verfügung, zum Beispiel bei Computerspielen oder im Internet. Da wird einfach nicht mehr geübt, sich auf etwas zu konzentrieren. Schulen müssen also insbesondere das Konzentrieren lehren. Schüler und auch Studenten sollten viel häufiger gelesene Texte anschließend verbal wiedergeben. Nur so können sie wirklich gut lernen. Ein wichtiger Punkt ist, dass die Schulbücher aus Sicht der Hirnforschung nicht optimal gestaltet sind. Die einzelnen Textzeilen sind meist viel zu lang und erschweren so das Lesen. Noch schlimmer ist es, wenn die Zeilen sogar unterschiedlich lang sind, weil sie etwa durch freigestellte Bilder unterbrochen sind. Das bereitet dem Gehirn beim Lesen unnötig große Anstrengungen. ...

WELT ONLINE: Videoclips enthalten schnelle Schnitte. Verursacht dies eine schlechtere Konzentrationsfähigkeit?

Pöppel: Ja. Wenn die Bildfolgen zu schnell sind, wird im Gehirn zwar noch eine Anmutung erzeugt, doch keine Information mehr verarbeitet. Durch springende Inhalte wird Aufmerksamkeit letztlich vernichtet. Auch aus diesem Grund fällt es immer mehr Kindern schwer, sich zu konzentrieren. Und sogar in den Hörsälen beobachte ich, dass es den meisten Studenten ziemlich schwer fällt, einfach mal 45 Minuten lang aufmerksam zu sein.

WELT ONLINE: Hat Multitasking einen Einfluss auf die Konzentrationsfähigkeit?

Pöppel: Es gibt hier ein großes Missverständnis. Aus neurobiologischer Sicht gibt es schlicht kein Multitasking. Das Gehirn kann sich immer nur auf eine Sache konzentrieren, denn das Bewusstsein hat zu jedem Zeitpunkt immer nur einen Inhalt. Multitasking kann also nur bedeuten, dass ein Mensch innerhalb eines größeren Zeitraums nacheinander verschiedene Dinge tut. In einem solchen Zeitfenster lassen sich natürlich viele Dinge erledigen. Aber dieser Modus ist ungeeignet, um Wissen aufzunehmen und nachhaltig im Hirn zu verankern. Menschen, die auf diese Weise den ganzen Tag lang Dinge nur erledigen, wissen am nächsten Morgen nicht mehr, was sie gemacht haben......


Pöppel: Ja, so sehe ich das. Es würde in Deutschland einen unglaublichen Innovationsschub geben, wenn alle Menschen mal eine Stunde am Tag nicht kommunizieren und sich mal auf irgendeine Sache richtig konzentrieren würden. Man muss dem Gehirn einfach mal eine Chance geben und es in Ruhe denken lassen. Nur so können neue Gedanken entstehen. Das sollten auch die Pädagogen begreifen. Schule muss neu organisiert werden und schon im Kindergarten sollte man beginnen, aufmerksam zu lernen.

WELT ONLINE: Haben die Lehrer in Ihrer Schulzeit besser als heutige Pädagogen zum Konzentrieren erzogen?

Pöppel: Ja, wenngleich mit falschen Motiven. In meiner Schulzeit wurde man zur Disziplin trainiert. Das hatte den Nebeneffekt, dass wir auch lernten, uns zu konzentrieren. In meinem Internat mussten wir Schüler uns täglich drei Stunden still hinsetzen und uns auf eine Sache konzentrieren – zum Beispiel das Lernen von Vokabeln.

WELT ONLINE: Könnte es nicht sein, dass die Menschen das Lesen in einer voll digitalisierten Welt schließlich doch verlernen werden, weil alle Informationen über Bilder und Gesprochenem vermittelt werden?

Pöppel: Das will ich in der Tat nicht ausschließen. Es könnte sein, dass wir in eine orale Kultur zurückkehren und es nur noch eine kleine Zunft von Menschen geben wird, die lesen können. Denn wenn man es genau nimmt, bräuchten wir die Fähigkeit zu lesen eigentlich schon heute nicht mehr unbedingt.

Das Gespräch führte Norbert Lossau

Samstag, 27. März 2010

Man kann im Leben nur wirken, wenn man das Leben auf sich wirken lässt:

"Hat man ein, zwei, drei vier Lehrpläne, Schulverordnungen, alles fein klug ausgedacht, vor sich, weiß man ja, was man zu tun hat. Man hat den Lehrplan, hat die Schulverordnung, man muss das tun. Aber so steht die Waldorfschule nicht da. Im Geiste der Waldorfschule ist es so richtig, zu denken, dass manches anders sein muss als in der öffentlichen Erziehung. ... So steht der Waldorfschullehrer da: er hat keine Paragraphen, sondern Ratschläge; Ratschläge, die er nach seiner eigenen Individualität gestalten muss. Jeder ist doch ein anderer Mensch. ... Der Lehrer ist eine Individualität. Und er kann nur wirken, wenn er sich als Mensch einsetzen kann mit der vollen Selbständigkeit seines Wesens. Nur dann kann er wirklich wirken. Dann aber muss er das Leben kennen. Man kann im Leben nur wirken, wenn man das Leben auf sich wirken lässt. Aber was hat man in der Schule für ein Leben? Die Fortsetzung des elterlichen Lebens im Kinde. Von den Paragraphen, Grundsätzen wird der Lehrer verwiesen auf alles dasjenige, was unmittelbares Leben des Kindes ist. Das muss einfließen in Methodik, in die Handhabung des ganzen Unterrichtens und Erziehens."


Aus dem Buch:

„Rudolf Steiner in der Waldorfschule“, Rudolf Steiner Verlag GA 298, S.216

Dienstag, 23. März 2010

Lesen Lernen

Zu den wichtigsten Kulturtechniken gehört das Schreiben und Lesen und das Rechnen.
So, wie sich die heutige Kultur gestaltet, hat das Lesen einen besonderen Stellenwert. Leicht stellen sich Sorgen ein, wenn das Kind in der Schule nicht schnell genug lesen lernt.

Nun ist die Fähigkeit, das Lesen zu lernen bei den Kindern äußerst unterschiedlich Manche Kinder können schon vor der Einschulung lesen und andere lernen es erst mühsam in der 4. oder 5. Klasse. Menschenkundlich betrachtet macht es gar keinen Sinn, mit einem Kind, das noch nicht lesen kann oder will, das Lesen direkt anzugehen. Das wäre, wie wenn man von einem Vögelchen, das an seinen Schwingen noch gar keine Schwungfedern entwickelt hat, verlangen würde, dass es fliegen lerne. Es wird versuchen, mit den Flügelstummelchen zu flattern, aber es wird sich kaum erheben können.
Das Lesenlernen erfordert eine Fülle von Sinnes- und Verstandestätigkeiten, die erst einmal entwickelt werden müssen, falls sie nicht schon als Anlage vorhanden sind, wenn das Kind in die Schule kommt.

In der Waldorfschule verfolgt man eine besondere Methode, um an das Schreiben und Lesen heranzugehen. Zunächst einmal wird das Schreiben in einem künstlerischen Prozess erarbeitet. Wir befassen uns mit Zeichnerischem, Malerischem, Rezitatorischem und auch Musikalischem.
„Man tut den Kindern etwas ungeheuer Gutes, wenn man solches an die Kinder heranbringt.
Unsere Kinder werden selbst Schreiben und Lesen aus dem Leben heraus lernen. So ist es beabsichtigt. Sie werden nicht pedantisch dazu angehalten werden, Buchstaben schreiben zu lernen. (Man lehrt ) aus dem künstlerischen Erfassen der Schrift das Schreiben .. und dann aus dem Schreiben das Lesen.“
(Aus: Rudolf Steiner-Idee und Praxis der Waldorfschule).

Das Formenzeichnen bildet eine Grundlage für diesen Prozess. Das Kind soll lernen auch feine Nuancen in Formgestaltungen zu erfassen und dann selbstständig aufzuzeichnen. Dabei schult es den Sinn, später Buchstabenformen exakt zu erfassen und wiederzugeben.

Ein weiterer Schwerpunkt ist das Musikalisch-Sprachliche. Wer sein Klangempfinden schult, der wird auch die Lautklänge in den Worten geschickter hören lernen. Manch ein Kind kann zunächst nur schwer „f“ und „s“ vom Klang her unterscheiden. Durch Gesang und Rezitation wird dies in der Klassengemeinschaft ständig geübt.

Die Waldorfmethode beschäftigt sich zunächst nur am Rande mit dem Lesen. Es wird nach dem Erlernen der Buchstabenformen viel geschrieben und dann auch an dem Geschriebenen freilassend das Lesen geübt. Für Kinder, die noch kaum lesen können, erleichtert sich der Prozess dadurch, dass häufig auch Texte geschrieben werden, die vorher auswendig gesprochen wurden. Völlig fremde, gedruckte Texte bringt man erst später an die Kinder heran.

Im obigen Zitat heißt es, dass die Kinder z.B. das Schreiben aus dem Leben heraus lernen. Dies kann man voll bestätigen. In einer 2. Klasse konnten im zweiten Drittel des Schuljahres etwa 90 Prozent der Kinder lesen, ohne dass ein längerer, systematischer, direkter Übprozess stattgefunden hätte.

Bei den Kindern, die noch nicht lesen können, liegen ganz unterschiedliche Symptome vor. Es kann sich um eine umfassendere, langsamere intellektuelle Auffassungsgabe handeln.
Andere wiederum haben deutliche Schwierigkeiten,im Sprechen und Hören Laute zu erfassen und zu unterscheiden.
Dann hat man auch Kinder, die überhaupt kein Entwicklungsdefizit haben, vielleicht sogar sich intellektuell recht begabt zeigen und dennoch nicht lesen. In diesem Fall kann man gewöhnlich in Ruhe abwarten, bis der Knoten geplatzt ist.

Während man bei den erstgenannten Fällen entsprechende Förderungen sinnvoll sind, da die Verzögerungen im Lesenlernen meist auch einhergehen mit Schwierigkeiten in der Fein- und Grobmotorik.

Da in der dritten Klasse die überwiegende Mehrheit der Kinder lesen kann, wird man ihnen auch mehr und mehr ungeübte oder gedruckte Texte vorlegen, an denen dann besonders das „schöne“ Lesen laut geübt werden kann: die rechte Betonung, die richtige Geschwindigkeit, das Über des Wort- und Textverständnisses, das Achten auf die Interpunktion usw. Damit setzt dann ein viele Jahre andauernder Übprozess ein, in dem jedes Kind lernen soll, so schön vorzulesen, dass man ihm gut und gerne zuhören kann.

Donnerstag, 18. März 2010

Pädagogische Bestätigung...

In meiner Klasse (damals 1. oder 2.Klasse) hatte ich einst folgende nette Begebenheit. Ein Kind kam verschiedentlich nicht pünktlich aus der Pause zurück. Bis ich sagte, dass es heute einmal die ganze Pause mit mir an der Hand über den Pausenhof gehen müsse und dass wir dann mit dem Klingeln gemeinsam in die Klasse zurückgehen würden.... Das Kind bettelte und bat inständig, ich möge ihm doch noch einmal eine Chance geben, es würde ganz gewisslich heute pünktlich sein usw. Es wehrte sich furchtbar gegen meine Maßnahme. Ging dann aber doch widerstrebend an meiner Hand. Schließlich wurde es geschmeidiger und zugänglicher und sagte dann: „Herr Centmayer, wenn ich Lehrer wäre, dann hätte ich es auch so gemacht wie du.“

Dienstag, 16. März 2010

Die drei Lehrer

Relativ unbekannt ist die in Form einer Geschichte von Rudolf Steiner dargestellte "Lehrstunde" für einen guten Lehrer. Man möchte fast sagen, dass diese Darstellung jeder Waldorflehrer kennen solle. Man möge das Wesen des dritten Lehrers zu verstehen versuchen und selber üben, so wie er zu arbeiten.
Man stoße sich bitte nicht allzu sehr daran, dass Steiner häufiger den Begriff "Schülermaterial" verwendet.
Aus: Rudolf Steiner, „Notwendigkeit und Freiheit im Weltgeschehen und im menschlichen Handeln“, GA 166, Dritter Vortrag ,Berlin, 30. Januar 1916

"... Wir versetzen uns in eine Schule,
vielleicht in eine Schule von drei Klassen, denen drei Lehrer vorgesetzt sind und ein Direktor. Diese drei Lehrer, nehmen wir an, seien von sehr, sehr verschiedener Charakter- und Temperamentsart. Wir denken, es sei der Beginn eines neuen Schuljahres. Der Direktor bespricht sich mit seinen Lehrern über das kommende Schuljahr.

Da ist zunächst ein Lehrer einer Klasse...
...Der sagt zu dem Direktor, nachdem ihn der Direktor gefragt hat, wie er sich einzurichten gedenke, wie er am besten vorwärtszukommen gedenke im nächsten Schuljahr: Nun, ich habe während der Ferienzeit sorgfältig dasjenige mir aufgeschrieben, wovon ich angenommen habe, dass es in meinen Anordnungen, in meiner ganzen Schulleitung im vorigen Jahre von den Schülern nicht ganz gut getroffen worden ist, was also von mir nicht gut eingerichtet war. Und ich habe mir nun fürs kommende Jahr einen neuen Plan zurechtgerückt, einen Plan, der alles dasjenige enthält, wovon ich mich überzeugt habe, dass es im vorigen Jahre gut getroffen worden ist, dass es in die Hirne, in die Köpfe hineingegangen ist. Ich habe alle Aufgaben, die ich im Laufe des Jahres stellen werde, so eingerichtet, dass in meinem ganzen Plane für das kommende Jahr dasjenige enthalten ist, was am allerbesten im verflossenen Jahre getroffen worden ist, wovon man also annehmen kann, dass es sich im verflossenen Jahre gut erprobt hat. ‑ Als ihn der Direktor etwas weiter fragte, da konnte er sogleich herausrücken mit einem Plane, den er sich über die Verteilung des Lehrstoffes zurechtgelegt hatte. Er konnte ferner anführen, welche Schulaufgaben er im Laufe des Jahres geben werde, welche Hausaufgaben er geben werde. Alle Themen für Schul‑ und Hausaufgaben hatte er nach den sorgfältigen Erfah­rungen, wie er sagte, des vorigen Jahres sich zurechtgelegt. Da meinte der Direktor. Nun, ich bin sehr zufrieden. Sie sind zweifel­los ein sorgfältiger Lehrer, und Sie werden mit Ihrer Klasse, wie ich glauben kann, etwas Ausgezeichnetes erreichen.

Der zweite Lehrer ...
...sagte in einer ähnlichen Weise: Ich habe das ganze Pensum, das ich mit meinen Schülern in dem vorigen Jahre absolviert habe, durchgenommen, und ich habe gesehen, was ich alles verfehlt habe. Ich habe mir nun den neuen Plan so eingerichtet, dass ich alle Fehler, die gemacht worden sind, vermeiden werde. Und er konnte ebenfalls dem Direktor ein ausgearbeitetes Pensum zeigen: ....

Lernen im Schlaf

Aus dem Unterricht

Die Waldorfpädagogik betont schon immer die Bedeutung des Schlafes für das Lernen. Nach der Schule sollen die gelernten oder noch zu lernenden Inhalte zuerst einmal ruhen, dabei sollen sie in das Unterbewusste absinken, um gewissermaßen „verdaut“ zu werden. Am nächsten Morgen hat sich dann oft schon der erste Lernschritt vollzogen.

Wer einmal selbst versucht hat z. B. auf einem Instrument einen neuen Griff zu lernen, der hat vielleicht erlebt, wie man sich an einem Tag abmüht und dann einfach nicht mehr weiterkommt. Greift man aber die Übung am nächsten Tag wieder auf, dann kann es einem vorkommen, als ginge der Griff plötzlich viel leichter als am vergangenen Tag. Es kann einem so vorkommen, als habe das Üben sich dem Körper, den Händen oder Fingern eingeprägt und es ist, als wüssten sie nun von alleine, wie sie zu spielen hätten.

Auch für das Erkennen z.B. von naturwissenschaftlichen Gesetzen kann diese Erfahrung gelten. Wenn wir Physikunterricht geben, dann stellen wir die „Experimente an das Ende des Unterrichts. Wir versuchen danach mit den Kindern den Versuchsaufbau und –ablauf aus der Erinnerung möglichst genau wiederzugeben. Auch die Hausaufgabe besteht nur aus einer Aufzeichnung der Versuche. Dann schlafen die Kinder und verarbeiten alles im Schlafe.

Am nächsten Morgen kommen sie wieder in die Schule. Im Gespräch erarbeiten wir nun das Gesetz, die Regel, die sich in dem physikalischen Versuch des Vortages aussprach.

Neue Forschungsergebnisse

Die moderne naturwissenschaftliche Forschung nimmt immer tiefere Einblicke in die Auswirkungen gedanklicher Vorgänge auf die physikalischen Prozesse im Gehirn. Man verwendet dabei gewaltige technische Apparate, die die feinsten Veränderungen unter der Schädeldecke wahrnehmen können.

„Kein Stillstand im Gehirn“

Es folgen nun einige Auszüge aus einem Artikel, der am 22. 1. 2004 unter dem Titel „Kein Stillstand im Gehirn – Wie Schlaf zur Einsicht und Jonglieren zu grauer Substanz verhilft“ veröffentlicht wurde.

In diesem Artikel wurden auch Forschungsergebnisse völlig neuer Art veröffentlicht, dass nämlich das Gehirn auch beim Erwachsenen biologisch viel lebendiger und wandelbarer ist, als bisher angenommen. Durch intensives feinmotorisches Training (Jonglieren) kann sogar neue Gehirnsubstanz aufgebaut werden, welche sich allerdings auch wieder auflöst, wenn man mit dem Üben nachlässt.

Solche Erkenntnisse sollten durchaus weiter entwickelt werden und könnten große Bedeutung für die Bekämpfung von Krankheitsphänomenen im Alter haben. Ein Gehirn, was nicht intensiv benützt wird, wird sich wohl auch viel schneller abbauen als eines, dessen Besitzer nachdenkt und der es immer durch feinmotorische Arbeiten anregt. Es gibt Anlass zu der Vermutung, dass die “Oma“, die noch immer für ihre Enkelkinder Socken strickte, wohl viel seltener an Demenz erkranken konnte als eine, die das nicht tat.

So hat es der Mensch viel stärker selber in der Hand, wie sich bei ihm Gesundheit und Krankheit im Alter entwickeln, als es uns Medizin und Wissenschaft bisher glauben machen wollten.

Nun der Artikel:

Wie Schlaf zur Einsicht ......

Lange hatte Otto Loewi darüber gegrü­belt, wie er seine Vorstellungen von der che­mischen Übertragung von Nervenreizen ex­perimentell überprüfen könne. An einem Morgen im Jahr 1921 hatte er plötzlich die zündende Idee für ein ausgeklügeltes Expe­riment. Die Erleuchtung war ihm über Nacht gekommen. So hat sich der in Frank­furt am Main geborene Forscher den Medi­zin‑Nobelpreis, mit dem er 1936 ausgezeichnet wurde, sozusagen im Schlaf verdient. Auch andere Wissenschaftler verdanken der Nachtruhe viel, etwa Friedrich August Kekulé, dem 1865 beim Schlummern die Molekülgestalt des Benzols deutlich wurde. Forscher der Universitäten Lübeck und Köln wollten sich mit solchen anekdoti­schen Berichten aber nicht zufrieden geben. In Experimenten an rund 100 Probanden haben sie das Phänomen wissenschaftlich überprüft ‑ und es bestätigt.

Die Versuchsteilnehmer hatten eine knif­felige Aufgabe zu lösen. Es ging darum, Zahlenreihen nach zwei vorgegebenen Re­geln in mehreren Schritten neu zu ordnen. Ohne dass die Probanden davon wussten, hatten die Forscher allerdings noch eine dritte Regel eingebaut. Sobald sich diese aus, dem Versuchsablauf erschloss, ließen sich die Aufgaben wesentlich schneller lö­sen. Um den Einfluss des Schlafs zu ermit­teln, teilten die Forscher die Testpersonen in drei Gruppen ein. Nach einem ersten Training mit drei Versuchsdurchläufen durf­ten die Probanden der einen Gruppe acht Stunden lang schlafen, ehe das Experiment fortgesetzt wurde. Die anderen Teilnehmer mussten bis dahin wach bleiben, wobei die­se Phase entweder in den Tag oder in die Nacht verlegt wurde.

Wie Jan Born und Ullrich Wagner vom Institut für Neuroendokrinelogie der Uni­versität Lübeck zusammen mit den ande­ren Forschern in der heutigen Ausgabe der Zeitschrift "Nature" (Bd. 427, S. 304 u. 352) berichten, brachte der Schlaf häu­fig die Einsicht. Jene Probanden, denen man die ausgiebige Nachtruhe gegönnt hatte, erkannten am Morgen die verborge­ne, umgehend zur Lösung führende Regel im Durchschnitt deutlich leichter als die wach gebliebenen Teilnehmer. Die Er­folgsquote betrug 60 gegenüber 22 Pro­zent. Die Möglichkeit, dass Schlafentzug oder ein veränderter Biorhythmus eine Rolle gespielt haben, können die Forscher ausschließen.

Durch die Ergebnisse dürfen sich all jene Menschen bestätigt fühlen, die schon immer davon überzeugt waren, dass Schlaf klug macht. Die Bedeutung der neuen Forschungsarbeiten geht indes weit darüber hinaus. Aus dem Versuchsablauf muss man nämlich schließen, dass sich die ver­steckte Regel nicht von selbst infolge der zunehmenden Praxis beim Ausführen der Aufgabe ergeben konnte. Nach den Wor­ten von Born weisen die Ergebnisse dar­auf hin, dass Gedächtnisinhalte im Schlaf nicht nur vertieft, sondern auch neu struk­turiert werden können.

Während des Lernens, in diesem Fall also während der ersten Versuchsdurch­gänge, erfolgt eine Zwischenspeicherung im Hippokampus. Wie man aus früheren Untersuchungen weiß, können Gedächt­nisinhalte dort Tage bis Wochen verblei­ben, ehe sie auf Dauer in der Hirnrinde abgelegt werden. Die nun erzielten Befun­de lassen den Schluss zu, dass im Schlaf nicht nur eine Überführung vom Kurz‑ in das Langzeitgedächtnis stattfinden kann, sondern auch eine Anpassung des neu Er­lernten an schon vorhandene Inhalte des Langzeitgedächtnisses. Demnach findet eine Umstrukturierung mentaler Inhalte statt, die neue Einsichten ermöglicht. Die Forscher aus Lübeck und Köln untersu­chen jetzt, ob sich dieser Vorgang be­stimmten Phasen des Schlafs zuordnen lässt.

und Jonglieren zu grauer Substanz verhilft

Immer wieder müssen die Neurowissenschaftler in jüngerer Zeit erstaunt zur Kenntnis nehmen, wie wandlungsfähig das Gehirn des Menschen ist. Glaubte man lange, nur im Kindesalter würden neue Verbindungen zwischen den Nervenzellen angelegt, so hat sich inzwischen gezeigt, dass solche Prozesse lebenslang ablaufen. Doch die Wandlungsfähigkeit beschrankt sich nicht auf neue Verbindungen. Vielmehr muss auch eine andere traditionelle Vorstellung aufgegeben werden. So nahm man an, die Anatomie des Gehirns verändere sich im Erwachsenenalter nicht mehr sichtbar, außer durch alters‑ oder krankheitsbedingte Abbauvorgänge. Nun aber haben Forscher der Universitäten Regensburg und Jena nachgewiesen, dass durch Training sogar ein beträchtlicher Zuwachs an grauer Substanz erzielt werden kann.

Der Forschergruppe um Arne May, von der Neurologischen Klinik der Universität Regensburg ging es darum, die Wirkung eines visuell‑motorischen Trainings auf das Gehirn zu untersuchen. Eine Tätigkeit, bei der sowohl die Augen als auch die Hände 'besonders gefordert werden, ist das Jonglieren mit Bällen. Zwölf junge Erwachsene, die keine Erfahrung mit dieser artistischen Disziplin hatten, aber ein gewisses Geschick zeigten, begannen ein drei Monate dauerndes Training mit drei Bällen. Eine gleich große Gruppe diente den Forschern zum Vergleich.

Ehe das Training begann, wurden mit der Kernspintomographie virtuelle Schnittbilder des Gehirns angefertigt. Nach drei

Monaten, als aus den Probanden geschickte Jongleure geworden waren, warfen die ‑Neuroradiologen wieder einen Blick in das Gehirn. Dabei stellten sie überrascht fest, dass es zu größeren Veränderungen gekommen war. .... So kann das Gehirn schon beim Hochwerfen des Balls berechnen, wo dieser wahrscheinlich landen wird, und die Hand rechtzeitig, an die betreffende Stelle dirigieren.

Nach Abschluss des Trainings ließen die Probanden ihre Jonglierkünste ruhen. Drei Monate später nahmen die Forscher eine weitere Untersuchung mit der Kernspintomographie vor. Dabei stellte sich heraus, daß die graue Substanz in den zuvor stark geforderten Hirnarealen wieder deutlich kleiner geworden war, wenn auch nicht so klein wie zu Beginn des Versuchs.' Das Training führte demnach zu einer vorübergehenden Vergrößerung der besonders benötigten Regionen ‑ eine Dynamik, die bisher nicht bekannt war. Darüber, wie der Zuwachs an grauer Substanz zustande kommt, können die Forscher vorerst nur spekulieren. Vielleicht beruht er auf einer starken Zunahme an Kontaktstellen (Synapsen) und Ausläufern von Nervenzellen, vielleicht auch auf der Bildung neuer Gliazellen oder sogar Nervenzellen.

REINHARD WANDTNER

Montag, 15. März 2010

Die kleinen Wissenschaftler

In der Braunschweiger Presse konnte man in letzter Zeit wieder viele Berichte über Schülerinnen und Schüler lesen, die als kleine Forscher oder Wissenschaftler mit ihren Arbeitsergebnissen dargestellt wurden. Es erweckt immer wieder den besonderen Stolz von Eltern, deren Schulen und der Öffentlichkeit der ganzen Stadt, wenn sie von solchen Dingen hört und die kleinen Preisträger vorgestellt werden.

Am liebsten würde man den kleinen Kindern noch eine Professoren-Brille aufsetzen, um das Bild perfekt zu machen.

Es ist natürlich ein Ideal des heutigen Wirtschafts- und Wissenschaftsbetriebs, die Menschen immer früher in sich einzubinden und ihre Kräfte und Ideen in den eigenen Dienst zu stellen. Früheinschulung und vorzeitiges Abitur entspringen dem gleichen Gedanken. Dieses Denken ist äußerst kurzsichtig.

Man sieht dabei nicht darauf, welche Kräfte und Fähigkeiten man bis zum 21.Lebensjahr im jungen Menschen erst anlegen und entwickeln muss, damit er im späteren Leben sozialfähig, leistungsstark, körperlich und psychisch gesund seine Aufgaben ergreifen kann.

Die moderne Gehirnforschung veröffentlicht ständig neue Forschungsergebnisse, die belegen, welche Bedeutung für die intellektuelle Entwicklung z.B. auch das kindliche Spiel, das Musikalische oder das Handwerkliche haben. Sie bestätigt fast täglich, dass die Praxis der Waldorfschulen die Forderungen der modernsten Forschungen erfüllt.

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Aus dem Waldorflehrplan zur Physik:

Was den Lehrplan des Physikunterrichtes in der Waldorfschule angeht, so finden wir folgende Schilderung über das rechte Lebensalter:

Wenn wir zur rechten Zeit beginnen mit Physik, Mechanik, Dynamik gegen das 11. und 12. Jahr hin, da stellen wir im Denken etwas vor das Kind hin, was in seinen Kopf hineingeht, und von dem Inneren des Menschen kommt dem dasjenige entgegen, was das Kind vom Knochensystem aus erlebt. Und es verbindet sich das, was wir dem Kind sagen, mit dem, was aus dem Körper des Kindes heraus will. So entsteht nicht ein abstraktes, intellektualistisches, sondern ein lebendiges, seelisches Verständnis. Das ist es, was wir anstreben müssen.“

Rudolf Steiner, Oxford 1922, 6.Vortrag

Donnerstag, 11. März 2010

Aus den "Konferenzen"

Schüler im Unterricht aktiv werden lassen:

"...(es würde).. notwendig sein, dass man sich darauf verlegt, dass die Schüler genötigt sind, viel aus sich selbst heraus zu formulieren und zu beantworten. Dass sie selbst viel tätiger sind. Und auch nicht so leicht, wenn ein Schüler nicht irgend etwas gleich weiß, nicht so leicht ihm nachhelfen. Er braucht diesen Willen, diese Sachen aus sich herauszuholen. Dies ist wesentlich besser geworden, als es früher war, da die Schüler nichts zu tun hatten, als zuzuhören."

Rudolf Steiner, Konferenzen III, S.104

Mittwoch, 10. März 2010

Unpünktlichkeit

In dem anregenden Büchlein von Eugene Schwartz "Überlebenshandbuch für Waldorflehrer finden sich viele praktische und zugleich tiefgründige Anregungen für denUnterrichtsalltag. So z.B. auch zum Thema "Pünktlichkeits-Erziehung" (S. 47 f):


"...Ich meine , eine Methode, den Einfluss des Ich im Klassenzimmer geltend zu machen, ist unser Beharren auf Pünktlichkeit....

Jedes Kinderproblem ist zwangsläufig ein Familienproblem. Die Kinder wählen die Familien aus mit dem klaren Ziel, eine erbliche Disposition zu bekommen für die karmischen Herausforderungen, denen sie begegnen müssen. In der Regel vermeiden Lehrer die Konfrontation mit Eltern über Pünktlichkeit...

Ideal wäre es, wenn die ganze Schule strikte Regeln für Pünktlichkeit etablieren würde. Dann hat das nichts mit der Persönlichkeit eines einzelnen Lehrers zu tun..."

Sonntag, 7. März 2010

Gefühl für das Kosmische im Menschen




Die Anforderungen, die Steiner an den zukünftigen Waldorflehrer stellte, waren deutlich auch geistige.
Es stellt sich deshalb die Frage, wie werden diese Anforderungen erfüllt. Wie geht man in der Lehrerausbildung und in den Kollegien vor, um zu der Qualität der Lehrerpersönlichkeit zu kommen, die der Waldorfunterricht braucht?

Im zweiten Vortrag von "Methodisch-Didaktisches" spricht Rudolf Steiner von dem Kosmischen im Menschen:
"Nun ist der Mensch auf eine bestimmte Art in den Kosmos eingebettet und man kann ja schon durch ganz äußerliche Erwägungen dieses Drinnenstehen des Menschen im Kosmos beobachten. Was ich jetzt sage, das sage ich aus dem Grunde, weil .... viel davon abhängt, wie wir gefühlsmäßig zu dem werdenden Menschenwesen stehen, wie wir in dem werdenden Menschenwesen wirklich ein rätselvoll Offenbares des ganzen Kosmos verehren können. Dass wir dieses Gefühl als Erzieher und Unterrichter entwickeln können, davon hängt ungeheuer viel ab..."
Er spricht dann über den bekannten Zusammenhang der 25920 täglichen Atemzüge mit dem Platonischen Weltenjahr.

Gewöhnlich ist es so, dass der lernende Waldorflehrer, diese Inhalte liest, sich darüber freut oder sogar begeistert ist über diese Forschungsergebnisse Rudolf Steiners. Dann geht er wieder zu seinem Alltag über und bereitet seine Epochen vor.

Wie aber wird das Wissen zum Gefühl, zu einem so starken Gefühl, dass ich im werdenden Menschen etwas vom ganzen Kosmos verehre? Arbeiten wir daran? Ist die Erweckung dieser Gefühle nicht neben dem praktischen Handwerkszeug für den Lehrer eine unabdingbare Notwendigkeit? Nach Steiner, ja!

Wird überhaupt verstanden, was er damit meint? Erleben wir in den Konferenzen oder Lehrertagungen etwas von dieser Aufgabe, die ich als eine der wichtigsten betrachte. Ein Lehrer, der an der Erweckung solcher Gefühle arbeitet, wird auch zur richtigen pädagogischen Praxis im Unterricht finden. Er findet damit eine Kraft in sich, die wie die Sonne alles überstrahlt. Sucht er diese Gefühlskraft nicht, so ist es für ihn, als müsste er immer im Finsteren arbeiten und herumtappen. Und so fühlt sich dieser Waldorflehrer auch. Er fühlt sich nie im segensreichen Geisteslichte.

Überall weist Steiner auf diese Komponente hin: Dass das Wissen sich in Fühlen verwandle!

Samstag, 6. März 2010

HÖFLICHKEIT


HÄNDEDRUCK UND UMARMUNG

Viele Formen der Höflichkeit sind in den letzten Jahrzehnten verloren gegangen. Besonders der junge Mensch lehnt viele dieser Formen ab, weil er sie mit dem Alten verbindet.

Das Verlorengehen guter alter Formen hat eine gewisse Berechtigung, wenn die Form nicht mehr mit Inhalt gefüllt ist; d.h. wenn ich die Höflichkeit nur zum Scheine ausübe, in meinem Herzen aber mich gar nicht dem anderen Menschen zuwenden will. Der Händedruck drückt ja eine besonders starke Verbindung zweier Menschen bei ihrer Begegnung aus; die Umarmung steigert das noch; grüße ich ohne Händedruck, so bleibe ich in einer gewissen Distanz.

In den Höflichkeitsgesten soll Ehrlichkeit, Wahrhaftigkeit herrschen, das ist es, was man als junger Mensch heute besonders stark empfindet. Wenn ich mich einem Menschen nicht zuwenden will, dann will ich das auch nicht der Form wegen tun.

So herrscht heute eine ziemliche Freiheit in der Form des Umgangs miteinander. Jeder Mensch hat dadurch die Möglichkeit in seiner Weise auszudrücken, wie er zum anderen steht; er hat auch die Möglichkeit neue Formen zu finden.


SCHRIFTVERKEHR

Nun zeigt sich auch in Formen des Schriftverkehrs der neue Stil des Umgangs miteinander. Eine E-Mail kann von der Form her in vielfacher Gestalt geschrieben werden. Immer ist die Form zugleich Ausdruck von etwas Innerem.
In einer Beilage zur "WELT","Karriere-Welt" vom 27.Feb.2010 fand ich folgende Hinweise zum modernen Schriftverkehr:


Empfängerorientiert formulieren:
Statt dem Personalpronomen "wir" sollte im Geschäftsbrief häufiger das "Sie" verwendet werden. Schreiben Sie lieber "Sie erhalten", statt "wir senden" oder "ich sende".

Für den Lehrer, der ja viele Briefe an einzelne Eltern oder Mitteilungen an seine ganze Elternschaft schreibt, ist das wieder eine sehr wertvolle Anregung.


Negatives vermeiden
"In der schriftlichen Kommunikation sollte man alles Negative herausnehmen...So steht in der Betreffzeile niemals "Ihre Reklamation vom" sondern "Ihr Brief vom"..."

Es mag sonderbar klingen, aber selbst für das Schreiben der Textzeugnisse, ist diese Anmerkung bedeutsam.


Abkürzungen
"Ebenfalls sollten Abkürzungen im Brief (auch E-Mail) vermieden werden. "Das symbolisiert, dass Sie sich keine Zeit für den Adressaten nehmen";...geben Sie unterhalb der Unterschrift immer den Vor- und Zunamen an.... das sei nicht nur höflich, sondern zeige auch mehr Präsenz."

Haben Sie auch schon einmal einen Brief erhalten, wo es am Schluss hieß: MfG ? Wie haben Sie sich dabei gefühlt, als Sie das lasen?


ANRUFBEANTWORTER UND E-MAIL-ABWESENHEITSNOTIZ

"Da kommen dann zwei dünne Zeilen von wegen, der Empfänger ist nicht erreichbar," ärgert sich der Kunde...Das ist einfach stillos....
Auch hier die Grundregeln der klassischen Briefkorrespondenz einhalten. Also: Start mit "Sehr geehrter Absender", dann klare Angaben zu Abwesenheit und Vertretung, am Schluss ein freundlicher Gruß..."

"Wer in seiner Abwesenheit außerdem die Telefon-Sprachbox nutzt sollte ebenfalls einige Grundregeln beherzigen. Ganz wichtig: Ansagetext kurz halten und immer beginnen mit "Hier ist der Anrufbeantworter..." nicht direkt mit dem Namen! Sonst denkt der Anrufer, die Zielperson habe selbst abgehoben und plappert ins Leere. Außerdem hilft es, den Anrufer aufzufordern, einen günstigen Zeitpunkt für den Rückruf anzugeben. SO wird verhindert, dass man aneinander vorbeitelefoniert..."

Freitag, 5. März 2010

Resistent?


An Jugendlichen konnte ich immer wieder die erstaunliche Erfahrung haben, dass die Filme gespickt mit Grausamkeiten ohne große Aufregung konsumieren konnten.

Wenn man sie fragte, ob sie hinterher noch ruhig schlafen könnten, dann bekam man als Antwort:"Wieso, das sei doch nur ein Film!"

Ich frage mich, ob bei den heutigen Jugendlichen wirklich schon eine gewisse Resistenz gegen die Inhalte der Medien existiert, die uns Erwachsenen abgeht.
Andererseits kann man doch wohl auch nicht sagen, dass die Jugend gefühlsärmer wäre als vorangegangene Generationen.

Donnerstag, 4. März 2010

Zusammenarbeit verstärken

Eltern und Lehrer

In der Erziehungskunst vom Januar 2008 war ein Artikel von Karl-Martin Dietz veröffentlicht, in dem dieser die wichtigsten Inhalte seiner bekannten Schrift „Eltern und Lehrer an der Waldorfschule gewissermaßen noch einmal zusammengefasst hat.

Diese Frage hat nach wie vor eine hohe Aktualität. Immer wieder spürt man eine Schwelle zwischen Lehrern und Eltern und manchmal auch keine konstruktive Zusammenarbeit. Natürlich sind damit nicht die Eltern gemeint, die sich treu und anerkennend hinter einen Lehrer stellen, sondern die, die auch einmal Fragen oder Kritik äußern, oder wo es um Probleme mit dem betreffenden Kind geht.

Der Gesichtspunkt, dass die Schule ja alles den Eltern verdankt, droht im Alltag manchmal zweitrangig zu werden. Die Eltern treffen die Entscheidung, ihr Liebstes an unsere Schule zu senden, und Sie müssen ein prinzipielles Verständnis für alles, was in der Schule geschieht entwickeln können.

Auch der Leiter der Pädagogischen Sektion, Christof Wiechert, weist immer wieder auf die Bedeutung einer allerintensivsten Zusammenarbeit mit den Elternhäusern hin. In einem Vortrag äußerte er einmal, dass er es seinen Eltern jederzeit freistellte auch unangemeldet einmal in der Klasse zu hospitieren. Wie man auch immer persönlich dieses beurteilen mag, so ist die Willensrichtung doch eindeutig: Offenheit und Einblick in das Pädagogische.

Viele Menschen – und Lehrer sind ja meist auch noch Menschen - neigen dazu, wenn kritische Fragen angesprochen werden, nicht sachlich den Inhalt oder die zugrundeliegende Intention der Frage zu betrachten, sondern sie ärgern sich über die Frage, danach über den Fragenden und dann kann es sein, dass dieser auch noch innerlich verurteilt wird.

Gibt es Unruhe in der Elternschaft einer Klasse, dann wird sehr schnell versucht, die „Rädelsführer“ zu identifizieren und festzustellen, wie viele es sind. Man hört dann gewöhnlich folgende Redewendungen: „Es sind nur drei Eltern, die sich beschweren“ oder „Schon wiederdie!“ Und gefühlsmäßig hört man dann bei solchen Äußerungen mitschwingen, als hätte man durch die Feststellung den größten Teil des Problems im Griff. Die Arbeit an den Ursachen der Probleme erscheint zweitrangig.

Nach meiner Erfahrung ist an jeder Eltern- oder auch Schüleräußerung ob positiv oder negativ etwas Wahres daran. Ob sie berechtigt ist oder nicht- wobei diese Bewertung natürlich in gewisser Hinsicht in diesem Zusammenhang schon völlig daneben liegt! Auf jeden Fall bekomme ich durch jedwede Äußerung dieser Art gespiegelt, wie der Unterricht oder andere erzieherische Maßnahmen auf andere Menschen wirkt. Wenn ich unbefangen darüber nachdenke, kann ich durch jede jede Äußerung etwas lernen. Dadurch bekomme ich Entwicklungschancen.

Zitate Rudolf Steiners zur Zusammenarbeit von Eltern und Lehrern (aus Dietz, a.a.O., S. 16-40)

Wir brauchen in dieser Schule, wenn wir in der richtigen Weise vorwärtskommen wollen, mehr als in einer anderen ein vertrauensvolles Zusammenwirken mit den Eltern. UnsereLehrer sind durchaus darauf angewiesen, dieses vertrauensvolle Zusammenwirken mit denEltern der Kinder zu finden.
13.1.1921, GA 298, S. 68

Und wenn die Eltern unserer Kinder das einsehen, daß wir ja eigentlich arbeiten wollen, um in den nächsten Jahrzehnten Menschen hinzustellen, die für das immer schwerer werdende Leben tüchtig sind, die aber auch noch Fragen haben können an das Leben, dann stehen die Eltern in der richtigen Weise zu unserer Schule. Denn wir müssen auf diesem Verständnis der Eltern aufbauen. [...] In dem Bewußtsein können unsere Lehrer am besten unterrichten. Wir hier lieben unsere Kinder, wir unterrichten aus Menschenverständnis und Kinderliebe heraus, und um uns herum baut sich auf eine andere Liebe, die Liebe der Eltern zu diesem unserem Schulwesen. In dieser Gemeinschaft nur können wir gegenüber dem, was heute an Unverstand und auch an bedenklicher Sittenentfaltung vorhanden ist, wirklich weiter arbeiten zu einer gedeihlichen Menschenzukunft. [...]
Elternabend, 13.1.1921, GA 298, S. 77-79

Das ist es, was ich heute gerne sagen wollte, meine lieben Freunde, um darauf hinzuweisen, wie wir auf der einen Seite in den Eltern unserer Kinder wirklich herzliche Freundeunserer Schule brauchen. Je mehr wir denken können, daß diese Eltern herzliche Freunde unserer Schule sind, desto besser, desto kraftvoller wird dasjenige geleistet werden können, was wir in dieser Schule leisten wollen.
Ebd., S. 82

Ich möchte Veranlassung geben zu einer möglichst weitgehenden Verständigung der an der Führung und an dem Wirken der Waldorfschule Beteiligten und der Elternschaft unserer Schule. Das ist aus dem Grunde, weil ich tatsächlich diese Verständigung, dieses Zusammenwirken der Lehrer und anderer Persönlichkeiten, die an der Führung der Waldorfschule beteiligt sind, und der Eltern für etwas außerordentlich Notwendiges und Bedeutungsvolles halte.
Elternabend, 9.5.1922, GA 298, S. 122

kopiert von: Freunde der Erziehungskunst - Link funktioniert leider nicht mehr!

Mittwoch, 3. März 2010

Aller Unterricht ist EIN Unterricht


Es ist manchmal schier unglaublich, welch wunderbare Dinge Klassenlehrer/innen im rhythmischen Teil des Hauptunterrichtes mit den Kindern machen. So bekommt dieser Unterrichtsteil häufig ein erhebliches Gewicht.

Doch wäre überlegenswert, ob es so umfangreich und ausführlich sein muss. Wohl fühlen sich die Klassenlehrer/innen (oft mit Recht) für alles verantwortlich und sie meinen wohl auch, allein durch ihren Unterricht würden die Kinder in rechter Weise erzogen.

Doch ist es wirklich so. Normalerweise haben die Kinder doch auch noch Musikunterricht: Kann nicht dort besonders viel gesungen und musiziert werden? Muss der Klassenlehrer auch noch ein kleines Klassenorchester unterhalten?

Dann gibt es Turnen, Spielturnen, Sport: Kann nicht da jongliert, balanciert, gehüpft, getanzt, gesprungen werden?

Dann gibt es noch die Handarbeit: Wird da nicht am meisten für die Feinmotorik und für die künstlerische Empfindung getan? Wird dort nicht ständig Ausdauer und Durchhaltekraft geübt?

Man vergesse nicht die Fremdsprachen, die auch noch einmal wie ein kleiner Hauptunterricht alles zusammen fassen: Singen, Spielen, Rezitieren, Lesen, Zählen, Schreiben?

Basteln, Schnitzen, Plastizieren? Gibt es dafür nicht auch den Werkunterricht?

Und dann noch die Krönung all unserer Unterrichte, die Eurythmie... Wird da nicht die wesentlichste Grundlage für alle Fächer gelegt? Wenn ich erlebe, wie gut die Kinder ein Gedicht sprechen, wie schön sie den Rhythmus ergreifen, verdanke ich nicht dies alles der Eurythmie? Wie schön sie in Sprache eintauchen können!

Man könnte sagen, dass die Erziehung zum guten Sprechen ein wichtiges Element des Rhythm. Teiles sein kann, das in dieser Weise in keinem anderen Fach so gut wahrgenommen werden kann. Die Fremdsprachen werden dann davon auch wieder ihren Nutzen haben.

Alles andere kann nach Gefühl stark verkürzt werden, so dass es mehr zu einem kurzen harmonischen Einschwingen der Klasse auf den Unterrichtsschwerpunkt kommt.

Ich plädiere sehr dafür, dass die Arbeit an den Epochen-Themen gründlich und verantwortungsbewusst ausgeweitet wird. Alle künstlerische Kraft möge in die lebendige, rhythmische, abwechslungsreiche Gestaltung des Lehrstoffes hineinfließen und nicht so sehr in gemütliche, attraktive Randbeschäftigungen, die einen abstrakten, vielleicht sogar etwas langweiligen Unterricht ausgleichen sollen: wie Frühstückspausen machen (Kinder sollen so früh wie möglich lernen, einen Hauptunterricht ohne Pause durchzuhalten), Spazierengehen, Marmelade-Kochen, Waffelnbacken usw.

Falls durch die Kürzung des Rhythmischen Teiles und einen kreativ-künstlerisch intensivierten Hauptunterricht am Ende noch Zeit bleibt, so wird man sich freuen, dass man noch lange die Geschichte frei erzählen wird können.
Hausaufgaben erübrigen sich bei einem lebendigen, interessanten ökonomisch-organisierten Unterricht sowieso.

Alle Fächer und alle Lehrer/innen arbeiten gemeinsam an den Kindern, darauf muss man sich verlassen. Das stärkt die kollegiale Gemeinschaft. Als Klassenlehrer/in weiß ich, dass ich alle Erfolge den Fachlehrer/innen verdanke. Als Fachlehrer/in vertraue ich darauf, dass ich alles den Klassenlehrer/innen verdanke.
Gegenseitiges Vertrauen stärken!