Dienstag, 16. März 2010

Lernen im Schlaf

Aus dem Unterricht

Die Waldorfpädagogik betont schon immer die Bedeutung des Schlafes für das Lernen. Nach der Schule sollen die gelernten oder noch zu lernenden Inhalte zuerst einmal ruhen, dabei sollen sie in das Unterbewusste absinken, um gewissermaßen „verdaut“ zu werden. Am nächsten Morgen hat sich dann oft schon der erste Lernschritt vollzogen.

Wer einmal selbst versucht hat z. B. auf einem Instrument einen neuen Griff zu lernen, der hat vielleicht erlebt, wie man sich an einem Tag abmüht und dann einfach nicht mehr weiterkommt. Greift man aber die Übung am nächsten Tag wieder auf, dann kann es einem vorkommen, als ginge der Griff plötzlich viel leichter als am vergangenen Tag. Es kann einem so vorkommen, als habe das Üben sich dem Körper, den Händen oder Fingern eingeprägt und es ist, als wüssten sie nun von alleine, wie sie zu spielen hätten.

Auch für das Erkennen z.B. von naturwissenschaftlichen Gesetzen kann diese Erfahrung gelten. Wenn wir Physikunterricht geben, dann stellen wir die „Experimente an das Ende des Unterrichts. Wir versuchen danach mit den Kindern den Versuchsaufbau und –ablauf aus der Erinnerung möglichst genau wiederzugeben. Auch die Hausaufgabe besteht nur aus einer Aufzeichnung der Versuche. Dann schlafen die Kinder und verarbeiten alles im Schlafe.

Am nächsten Morgen kommen sie wieder in die Schule. Im Gespräch erarbeiten wir nun das Gesetz, die Regel, die sich in dem physikalischen Versuch des Vortages aussprach.

Neue Forschungsergebnisse

Die moderne naturwissenschaftliche Forschung nimmt immer tiefere Einblicke in die Auswirkungen gedanklicher Vorgänge auf die physikalischen Prozesse im Gehirn. Man verwendet dabei gewaltige technische Apparate, die die feinsten Veränderungen unter der Schädeldecke wahrnehmen können.

„Kein Stillstand im Gehirn“

Es folgen nun einige Auszüge aus einem Artikel, der am 22. 1. 2004 unter dem Titel „Kein Stillstand im Gehirn – Wie Schlaf zur Einsicht und Jonglieren zu grauer Substanz verhilft“ veröffentlicht wurde.

In diesem Artikel wurden auch Forschungsergebnisse völlig neuer Art veröffentlicht, dass nämlich das Gehirn auch beim Erwachsenen biologisch viel lebendiger und wandelbarer ist, als bisher angenommen. Durch intensives feinmotorisches Training (Jonglieren) kann sogar neue Gehirnsubstanz aufgebaut werden, welche sich allerdings auch wieder auflöst, wenn man mit dem Üben nachlässt.

Solche Erkenntnisse sollten durchaus weiter entwickelt werden und könnten große Bedeutung für die Bekämpfung von Krankheitsphänomenen im Alter haben. Ein Gehirn, was nicht intensiv benützt wird, wird sich wohl auch viel schneller abbauen als eines, dessen Besitzer nachdenkt und der es immer durch feinmotorische Arbeiten anregt. Es gibt Anlass zu der Vermutung, dass die “Oma“, die noch immer für ihre Enkelkinder Socken strickte, wohl viel seltener an Demenz erkranken konnte als eine, die das nicht tat.

So hat es der Mensch viel stärker selber in der Hand, wie sich bei ihm Gesundheit und Krankheit im Alter entwickeln, als es uns Medizin und Wissenschaft bisher glauben machen wollten.

Nun der Artikel:

Wie Schlaf zur Einsicht ......

Lange hatte Otto Loewi darüber gegrü­belt, wie er seine Vorstellungen von der che­mischen Übertragung von Nervenreizen ex­perimentell überprüfen könne. An einem Morgen im Jahr 1921 hatte er plötzlich die zündende Idee für ein ausgeklügeltes Expe­riment. Die Erleuchtung war ihm über Nacht gekommen. So hat sich der in Frank­furt am Main geborene Forscher den Medi­zin‑Nobelpreis, mit dem er 1936 ausgezeichnet wurde, sozusagen im Schlaf verdient. Auch andere Wissenschaftler verdanken der Nachtruhe viel, etwa Friedrich August Kekulé, dem 1865 beim Schlummern die Molekülgestalt des Benzols deutlich wurde. Forscher der Universitäten Lübeck und Köln wollten sich mit solchen anekdoti­schen Berichten aber nicht zufrieden geben. In Experimenten an rund 100 Probanden haben sie das Phänomen wissenschaftlich überprüft ‑ und es bestätigt.

Die Versuchsteilnehmer hatten eine knif­felige Aufgabe zu lösen. Es ging darum, Zahlenreihen nach zwei vorgegebenen Re­geln in mehreren Schritten neu zu ordnen. Ohne dass die Probanden davon wussten, hatten die Forscher allerdings noch eine dritte Regel eingebaut. Sobald sich diese aus, dem Versuchsablauf erschloss, ließen sich die Aufgaben wesentlich schneller lö­sen. Um den Einfluss des Schlafs zu ermit­teln, teilten die Forscher die Testpersonen in drei Gruppen ein. Nach einem ersten Training mit drei Versuchsdurchläufen durf­ten die Probanden der einen Gruppe acht Stunden lang schlafen, ehe das Experiment fortgesetzt wurde. Die anderen Teilnehmer mussten bis dahin wach bleiben, wobei die­se Phase entweder in den Tag oder in die Nacht verlegt wurde.

Wie Jan Born und Ullrich Wagner vom Institut für Neuroendokrinelogie der Uni­versität Lübeck zusammen mit den ande­ren Forschern in der heutigen Ausgabe der Zeitschrift "Nature" (Bd. 427, S. 304 u. 352) berichten, brachte der Schlaf häu­fig die Einsicht. Jene Probanden, denen man die ausgiebige Nachtruhe gegönnt hatte, erkannten am Morgen die verborge­ne, umgehend zur Lösung führende Regel im Durchschnitt deutlich leichter als die wach gebliebenen Teilnehmer. Die Er­folgsquote betrug 60 gegenüber 22 Pro­zent. Die Möglichkeit, dass Schlafentzug oder ein veränderter Biorhythmus eine Rolle gespielt haben, können die Forscher ausschließen.

Durch die Ergebnisse dürfen sich all jene Menschen bestätigt fühlen, die schon immer davon überzeugt waren, dass Schlaf klug macht. Die Bedeutung der neuen Forschungsarbeiten geht indes weit darüber hinaus. Aus dem Versuchsablauf muss man nämlich schließen, dass sich die ver­steckte Regel nicht von selbst infolge der zunehmenden Praxis beim Ausführen der Aufgabe ergeben konnte. Nach den Wor­ten von Born weisen die Ergebnisse dar­auf hin, dass Gedächtnisinhalte im Schlaf nicht nur vertieft, sondern auch neu struk­turiert werden können.

Während des Lernens, in diesem Fall also während der ersten Versuchsdurch­gänge, erfolgt eine Zwischenspeicherung im Hippokampus. Wie man aus früheren Untersuchungen weiß, können Gedächt­nisinhalte dort Tage bis Wochen verblei­ben, ehe sie auf Dauer in der Hirnrinde abgelegt werden. Die nun erzielten Befun­de lassen den Schluss zu, dass im Schlaf nicht nur eine Überführung vom Kurz‑ in das Langzeitgedächtnis stattfinden kann, sondern auch eine Anpassung des neu Er­lernten an schon vorhandene Inhalte des Langzeitgedächtnisses. Demnach findet eine Umstrukturierung mentaler Inhalte statt, die neue Einsichten ermöglicht. Die Forscher aus Lübeck und Köln untersu­chen jetzt, ob sich dieser Vorgang be­stimmten Phasen des Schlafs zuordnen lässt.

und Jonglieren zu grauer Substanz verhilft

Immer wieder müssen die Neurowissenschaftler in jüngerer Zeit erstaunt zur Kenntnis nehmen, wie wandlungsfähig das Gehirn des Menschen ist. Glaubte man lange, nur im Kindesalter würden neue Verbindungen zwischen den Nervenzellen angelegt, so hat sich inzwischen gezeigt, dass solche Prozesse lebenslang ablaufen. Doch die Wandlungsfähigkeit beschrankt sich nicht auf neue Verbindungen. Vielmehr muss auch eine andere traditionelle Vorstellung aufgegeben werden. So nahm man an, die Anatomie des Gehirns verändere sich im Erwachsenenalter nicht mehr sichtbar, außer durch alters‑ oder krankheitsbedingte Abbauvorgänge. Nun aber haben Forscher der Universitäten Regensburg und Jena nachgewiesen, dass durch Training sogar ein beträchtlicher Zuwachs an grauer Substanz erzielt werden kann.

Der Forschergruppe um Arne May, von der Neurologischen Klinik der Universität Regensburg ging es darum, die Wirkung eines visuell‑motorischen Trainings auf das Gehirn zu untersuchen. Eine Tätigkeit, bei der sowohl die Augen als auch die Hände 'besonders gefordert werden, ist das Jonglieren mit Bällen. Zwölf junge Erwachsene, die keine Erfahrung mit dieser artistischen Disziplin hatten, aber ein gewisses Geschick zeigten, begannen ein drei Monate dauerndes Training mit drei Bällen. Eine gleich große Gruppe diente den Forschern zum Vergleich.

Ehe das Training begann, wurden mit der Kernspintomographie virtuelle Schnittbilder des Gehirns angefertigt. Nach drei

Monaten, als aus den Probanden geschickte Jongleure geworden waren, warfen die ‑Neuroradiologen wieder einen Blick in das Gehirn. Dabei stellten sie überrascht fest, dass es zu größeren Veränderungen gekommen war. .... So kann das Gehirn schon beim Hochwerfen des Balls berechnen, wo dieser wahrscheinlich landen wird, und die Hand rechtzeitig, an die betreffende Stelle dirigieren.

Nach Abschluss des Trainings ließen die Probanden ihre Jonglierkünste ruhen. Drei Monate später nahmen die Forscher eine weitere Untersuchung mit der Kernspintomographie vor. Dabei stellte sich heraus, daß die graue Substanz in den zuvor stark geforderten Hirnarealen wieder deutlich kleiner geworden war, wenn auch nicht so klein wie zu Beginn des Versuchs.' Das Training führte demnach zu einer vorübergehenden Vergrößerung der besonders benötigten Regionen ‑ eine Dynamik, die bisher nicht bekannt war. Darüber, wie der Zuwachs an grauer Substanz zustande kommt, können die Forscher vorerst nur spekulieren. Vielleicht beruht er auf einer starken Zunahme an Kontaktstellen (Synapsen) und Ausläufern von Nervenzellen, vielleicht auch auf der Bildung neuer Gliazellen oder sogar Nervenzellen.

REINHARD WANDTNER