Samstag, 20. Dezember 2008

"Ein rechter Lehrer ist"

Ein hohes, aber wahres Ideal:

Ein rechter Lehrer ist,
wer pilgernd alle Stätten
Von Gangas Quellenmund
hat bis ans Meer betreten;
An jedem heil'gen Strom,
der in die Ganga mündet,
Hat im Gebet gekniet
und sich im Bad entsündet!
Und dann zur Einsamkeit
den Duft zurückgebracht
Von Gottes Gnadenfüll'
und seiner Schöpfung Pracht.
Und in der Einsamkeit
das helle Bild entfaltet
Von Gottes Herrlichkeit,
die durch die Schöpfung waltet.
Auf seines Mundes Wort
mag wohl ein Schüler lauschen,
Vereinigt hört' er dort
die heil'gen Ströme rauschen.

Friedrich Rückert, Die Weisheit des Brahmanen

Freitag, 19. Dezember 2008

Jungen lernen durch Ausprobieren und nebenbei

Zum Thema "Jungen und Mädchen", das auf diesen Seiten schon häufiger behandelt wurde, erschien in der Hamburger Morgenpost folgender Artikel:


RATGEBER SCHULE

Jungen lernen durch Ausprobieren und nebenbei

PETER STRUCK

Vor einigen Wochen hat das Bundesbildungsministerium eine Expertise veröffentlicht, in der es um die Frage geht, warum bei uns vor allem Jungen in den Schulen scheitern. Interessant ist, dass Jungen genauso gut wie die Mädchen lernen, wenn es keine Noten gibt, das währt in Bayern ein Jahr, in Hamburg zwei Jahre, in den Rudolf-Steiner-Schulen zehn Jahre, in Dänemark sieben Jahre, in Norwegen und Schweden acht Jahre.

Kaum beginnen die Schulen aber mit Noten, bleiben die Mädchen so gut im Schnitt wie zuvor, die Jungen stürzen jedoch ab. Die Hirnforscher sagen uns, dass alle Tiere vor allem durch Um- und Irrwege lernen. Seit mehr als 100 Jahren sprechen wir vom Lernen durch "trial and error", durch "Versuch und Irrtum". Spannend wird es aber, wenn zugleich festgestellt wird, dass 40 Prozent der Mädchen durchaus "hauptsächlich" lernen können; also durch Zuhören, Lesen und Sehen, während 60 Prozent besser durch "Ausprobieren und nebenbei" lernen können. Mit Intelligenz hat das jedoch gar nichts zu tun.

Bei Jungen ist es dramatischer: 90 Prozent können gut durch Ausprobieren und nebenbei lernen, aber zehn Prozent können auch hauptsächlich lernen. Lernen durch Handeln und Fehler-machen-Dürfen bringt also mehr als Lernen durch Zuhören. Skateboard fahren oder Tore schießen lernen kleine Kinder eben nicht über Lesen oder Vorträge, sondern indem sie es tun. Und deshalb sagen die Hirnforscher, dass mit dem frühen Beginn der Noten in der Schule die Zukunft unserer Gesellschaft weiblich sein werde, mit Angela Merkel und der deutschen Damenfußballnationalmannschaft habe es schon angefangen. Wenn man auch die Jungen zu hochwertigen Schulabschlüssen bringen will, darf man mit den Noten erst in Klasse 9 beginnen, wie es die Norweger und Schweden richtig machen!

Info:
Prof. Dr. Peter Struck, Autor des Buchs "Die 15 Gebote des Lernens" ("Primus Verlag") von der Fakultät für Erziehungswissenschaft beantwortet Ihre Fragen. E-Mail erziehung@mopo.de

Samstag, 6. Dezember 2008

Praktische Ausbildung des Denkens

Als Pädagoge kommt man immer wieder in die Lage, dass an einem Tag ein Kind ein sonderbares Verhalten zeigt, mit dem man nicht zurechtkommt und das man sich nicht erklären kann. Am nächsten Tag fehlt das Kind in der Schule, man erfährt, dass es erkrankt ist. Im Sinne des folgenden Hinweises Rudolf Steiners, kann man nun einen Gedankenzusammenhang zwischen den beiden Ereignissen herstellen:




"Aber auch nach anderer Richtung können wir unsere Denkpraxis schulen. Irgendein Ereignis, das heute geschieht, steht auch in Beziehung zu dem, was gestern geschehen ist, zum Beispiel irgendein Junge ist ungezogen gewesen; welches können die Ursachen sein? Wir verfolgen die Ereignisse zurück von heute auf gestern, wir konstruieren uns die Ursachen, die wir nicht wissen. Wir sagen uns: Ich glaube, weil heute dies geschieht, so hat sich das gestern oder vorgestern durch dieses oder jenes vorbereitet.

Man unterrichtet sich dann darüber, was wirklich geschehen ist, und erkennt dadurch, ob man richtig gedacht hat. Hat man die richtige Ursache gefunden, so ist es gut; hat man sich eine falsche Vorstellung gemacht, so versuche man, sich die Fehler klarzumachen und zu finden, wie der Gedankenprozess sich entwickelt hat und wie die Sache in der Wirklichkeit abgelaufen ist."




Aus: Rudolf Steiner,PRAKTISCHE AUSBILDUNG DES DENKENS-Karlsruhe, 18. Januar 1909

Freitag, 5. Dezember 2008

Eltern und Waldorfschule

Und wenn die Eltern unserer Kinder das einsehen, dass wir ja eigentlich arbeiten wollen, um in den nächsten Jahrzehnten Menschen hinzustellen, die für das immer schwerer werdende Leben tüchtig sind, die aber auch noch Fragen haben können an das Leben, dann stehen die Eltern in der richtigen Weise zu unserer Schule. Denn wir müssen auf diesem Verständnis der Eltern aufbauen. [...] In dem Bewußtsein können unsere Lehrer am besten unterrichten. Wir hier lieben unsere Kinder, wir unterrichten aus Menschenverständnis und Kinderliebe heraus, und um uns herum baut sich auf eine andere Liebe, die Liebe der Eltern zu diesem unserem Schulwesen. In dieser Gemeinschaft nur können wir gegenüber dem, was heute an Unverstand und auch an bedenklicher Sittenentfaltung vorhanden ist, wirklich weiter arbeiten zu einer gedeihlichen Menschenzukunft. [...]
Aus: Rudolf Steiner, Ansprache am Elternabend, 13.1.1921, GA 298, S. 77-79

Sonntag, 16. November 2008

Die sechs Schwäne

Ein Geheimnis, das zwischen Weiblichem und Männlichem webt


Gestern wurde in der Schule das Märchen von den „Sechs Schwänen“ eurythmisch aufgeführt. Ein besonderer Reiz der Aufführung lag in der Zusammensetzung der Gruppe aus jüngeren und älteren Schülern. Alles war sehr gründlich ausgearbeitet und die Kinder lebten ganz in ihren Rollen.


Die Weisheit, die in dem Märchen steckt, regt zu vielen Überlegungen an. Wieder einmal ist es ein Mädchen, das seine Brüder erlöst.


Man wird auf ein Geheimnis hingewiesen, das zwischen dem Männlichen und dem Weiblichen webt. Wie schnell erliegt das Männliche einer Verzauberung und offenbart dann eine tierische Gestalt. Die Erlösung kommt von der Schwester, der weiblichen Seele. Nicht allein kann sich das Männliche aus der Verzauberung erlösen. Sobald es für eine Viertelstunde seine menschliche Gestalt annehmen darf, findet es sich in einem Räuberhaus wieder. Die Erlösung durch die Schwester erfolgt durch Schweigen. Es arbeitet an einem neuen Gewand, einer neuen Hülle für die Brüder, aber sie muss dabei schweigen - ein schwerer Weg. Durch die Übung dieser Tugend entsteht soviel Kraft, dass die Verzauberung gelöst werden kann.


So webt es auch geheimnisvoll in einer Schulklasse zwischen Jungen und Mädchen. Die Jungen erlebt man verstrickt in vielerlei Schwierigkeiten, ihr wahres Sein kann sich kaum offenbaren. Viele Mädchen ertragen diese Unarten mit schweigender Geduld. So wird der Ausgleich geschaffen. Deshalb ist wohl auch die Ausgewogenheit der Anzahl von Jungen und Mädchen in einer Klasse ideal.




Donnerstag, 13. November 2008

Zum Nikolaus Tag

Bald ist es wieder soweit, der Nikolaus kommt. Eine kleine Anekdote dazu aus der damals 3.Klasse:

Bei uns muss der Nikolaus immer über den Schulhof gehen, damit er von einem Gebäude ins andere kommt. Von manchen Klassenzimmern aus kann man den Schulhof sehen. Ein neugieriger, erwartungsvoller Schüler sieht den Nikolaus durchs Fenster und ruft: "Der Papst kommt!"

Freitag, 24. Oktober 2008

Autorität und Rechtschreibung

Die Rechtschreibung ist nichts Gottgegebenes. Sie ist eine Vereinbarung der Menschen. Man führt die Kinder dahin, dass sie verstehen, dass die Großen, die Älteren da etwas geschaffen haben, in das sie hineinwachsen werden. Die Kinder sollen dafür eine gewisse Wertschätzung entwickeln:

"...Nun handelt es sich darum, in Bezug auf eine solche Sache vor allem die richtige Gesinnung zu haben. Man kann ja selbstverständlich nicht eine beliebige Orthographie wuchern lassen, aber man kann wenigstens wissen, wie in Bezug auf diesen Gegenstand der eine und der andere Pol sich verhalte. Würden die Leute schreiben können, nachdem sie Schreiben gelernt haben, was sie hören an andern oder an sich selbst, so wie sie es hören, so würden sie sehr verschieden schreiben. Sie würden eine sehr verschiedene Orthographie haben, würden sehr stark individualisieren. Das würde außerordentlich interessant sein, aber es würde den Verkehr erschweren. Auf der andern Seite liegt das vor für uns, dass wir nicht nur unsere Individualität im menschlichen Zusammenleben entwickeln, sondern auch die sozialen Triebe und die sozialen Gefühle. Da handelt es sich darum, dass wir einfach vieles von dem, was in unserer Individualität sich offenbaren könnte, abschleifen an dem, was wir um des Zusammenlebens willen mit den andern entwickeln sollen. Aber wir sollten von dieser Tatsache ein Gefühl haben, und dieses Gefühl sollte mit uns heranerzogen werden, dass wir so etwas nur tun aus sozialen Gründen. Daher werden Sie, indem Sie den Schreibunterricht hindirigieren zum Orthographieunterricht, ausgehen müssen von einem ganz bestimmten Gefühlskomplex. Sie werden das Kind immer wieder und wieder darauf aufmerksam machen müssen ich habe das schon von einem andern Gesichtspunkt aus erwähnt , dass es Achtung, Respekt haben soll vor den Großen, dass es hineinwächst in ein schon fertiges Leben, von dem es aufgenommen werden soll, dass es daher das zu beachten hat, was schon da ist. Von diesem Gesichtspunkte aus muss man versuchen, das Kind auch in so etwas einzuführen, wie es die Orthographie ist. Man muss mit dem Orthographieunterricht parallelgehend ihm entwickeln das Gefühl des Respektes, des Achtens desjenigen, was die Alten festgesetzt haben. Und man muss Orthographie nicht ehren wollen aus irgendeiner Abstraktion heraus, etwa wie wenn die Orthographie durch eine göttliche ...Gesetzmäßigkeit da wäre - gleichsam aus dem Absoluten heraus, sondern Sie müssen in dem Kinde das Gefühl entwickeln: Die Großen, vor denen man Respekt haben soll, die schreiben so, man muss sich nach ihnen richten. Dadurch wird man allerdings eine gewisse Variabilität in die Rechtschreibung hineinbringen; aber das wird nicht überwuchern, sondern es wird eine Anpassung des heranwachsenden Kindes an die Erwachsenen da sein. Und mit dieser Anpassung sollte man rechnen. Man sollte gar nicht den Glauben hervorrufen wollen: So ist es richtig, und so ist es falsch , sondern man sollte nur den Glauben erwecken: So pflegen die Großen zu schreiben , also auch da auf die lebendige Autorität bauen."

Aus: Rudolf Steiner, Erziehungskunst - Methodisch-Didaktisches

Dienstag, 21. Oktober 2008

Zweites Tabu-Wort: Autorität

In Zusammenhang mit der moralischen Erziehung ist auch das Thema "Autorität" zu betrachten. Rudolf Steiner sprach immer von der liebevollen Autorität. Eben nur in dieser Verbindung mit der Liebe kann der Begriff für die heutige Zeit und die heutige Kindheit neu gegriffen werden. Und eine neue Anschauung und Praxis in dieser Hinsicht brauchen wir:

"Kein Unterricht verläuft im richtigen Fahrwasser, der nicht beglei­tet ist von einer gewissen Pietät gegen die vorangehende Generation. So gefühls und empfindungsmäßig diese Nuance bleiben muss, so muss sie doch mit allen Mitteln bei den Kindern kultiviert werden: dass das Kind mit Achtung, mit Respekt hinschaut auf das, was die älteren Generationen schon erreicht haben und was es auch durch die Schule erreichen soll. Dieses Hinschauen auf die Kultur der Umwelt mit einer gewissen Achtung, das muss in dem Kinde gleich von Anfang an erregt werden, so dass es wirklich –in denjenigen Menschen, die schon älter geworden sind, gewissermaßen etwas höhere Wesen sieht. Ohne die Erweckung dieses Gefühls kommt man im Unterricht und in der Erziehung nicht vorwärts..."

Aus: Rudolf Steiner,Erziehungskunst – Methodisch-Didaktisches, S. 52 f




"Wenn Sie in der 7. und 8. Klasse nur fertig kriegen, dass die Kinder das Autoritätsgefühl nicht verlieren! Das ist das Allernotwendigste. Das erreicht man aber am besten dadurch, dass man auf die Art, wie die Kinder sind, in höchst vorsichtiger Weise eingeht und sich doch wiederum gar nichts vergibt. Also nicht bei den Kindern wie ein Pedant erscheinen, nicht wie einer, der Lieblingsmeinungen hat. Man muß den Kindern scheinbar nachgeben, in Wirklichkeit aber gar nichts nachgeben. Gerade in dem 7. und 8. Schuljahr kommt es sehr, sehr auf die Art der Behandlung an. Da darf man sich in keiner Minute etwas vergeben, so dass die Kinder nicht hinausgehen und über den Lehrer spotten. Die Kinder müssen immer ehrgeizig darauf sehen wenn ich den Ausdruck brauchen darf, er betrifft nicht einen üblen Ehrgeiz, dass sie ihren Lehrer verteidigen und glücklich sind, daß sie diesen Lehrer haben. Das kann man doch bei den stärksten Rangen entwickeln. Man kann nach und nach das entwickeln, dass die Kinder den Drang haben, ihren Lehrer zu verteidigen, weil das ihr Lehrer ist. ...


Aus: Rudolf Steiner, Konf. I , S. 77 25.9. 1919


Sonntag, 28. September 2008

Ein Tabu-Wort: Moralität

Menschen klagen über Gewalt, Respektlosigkeit und schlechtes Benehmen bei Kindern und Jugendlichen. Gleichzeitig ist es fast schon verpönt, davon zu sprechen, dass Kinder eine moralische Erziehung brauchen.

Im Grunde ist diese heute nötiger denn je, da Religion oder Tradition als Lebensrahmen und Verhaltensnormierer keine Rolle mehr spielen. Und die Medien leben davon, negative Verhaltensweisen besonders hervorzuheben.

Die Intelligenz-Entwicklung ist bei den heutigen Generationen im Durchschnitt schon sehr weit fortgeschritten. Die Moral-Entwicklung setzt bei jedem Menschenwesen immer wieder bei Null an und muss sich an den Lebenserfahrungen entwicklen und reifen.
In Haus und Schule sollte deshalb die moralische Erziehung mindestens eine ebenso große Rolle spielen, wie die gesamte praktische, künstlerische und intellektuelle Erziehung.


„...Für Rudolf Steiner gipfeln die Aufgaben der Erzieher und der Unterrichtenden in demjenigen, was sie für die moralische Lebenshaltung der ihnen anvertrauten Jugend erreichen können. Auch er ist der Auffassung, dass der Moralunterricht alles durchdringen müsse und dass eine abgesonderte Moralunterweisung viel weniger erreichen könne als die Orientierung aller übrigen Erziehung und alles übrigen Unterrichts auf das Moralische hin. Man könne, so meint er, eine moralische Grunderziehung nur bewirken, wenn man auf das Gefühlsleben ziele, und auf dieses wirkten nicht abstrakte Maximen und Ideen, sondern Bilder. Darum habe man im Unterricht Bilder des menschlichen Seins und Verhaltens, ja, gleichnisweise sogar des außermenschlichen hinzustellen, an denen sich die moralischen Sympathien und Antipathien erregen ließen. Dieses Gefühlsurteil über das Moralische solle in der Zeit zwischen dem Zahnwechsel und der Geschlechtsreife ausgebildet werden. Und dafür sei gerade in diesem Lebensstadium des Kindes die Gesinnung des Pädagogen, die rechte Erziehergesinnung, das Wesentliche in allem pädagogischen Wirken. An dem verehrten Erzieher schaue fühlend das Kind, was gut und böse ist, und für die moralische Kraft, moralische Sicherheit, moralische Haltung des Kindes könne gerade in der Zeit zwischen dessen neuntem und zehnten Geburtstag vom Erzieher unsäglich Wichtiges geleistet werden. Und nach der Geschlechtsreife werde der Wille, der vorher in dem recht gepflegten moralischen Gefühlsurteil gekeimt hat, sich als moralisch stark erweisen. Für die moralische Entwicklung des Kindes habe die Beschäftigung mit der Kunst sowohl der bildende, als auch der dichterisch musikalischen eine große Bedeutung und werde geradezu von der kindlichen Natur verlangt. So reife das Pflichtgefühl, wenn der Tätigkeitsdrang künstlerisch in Freiheit die Materie durchdringe. Das Kind, das noch ungeschickt modelliere oder male, und das Kind, das in das Musikalische und Dichterische eingeführt werde, empfange zu seiner Menschlichkeit eine zweite Gabe, nämlich die moralische, die es erst zum wirklichen Menschen mache. Aber das alles werde nur erreicht, wenn das Künstlerische nicht nur neben der anderen Erziehung und dem anderen Unterricht einhergehe, sondern allem Erziehen und Unterrichten organisch eingegliedert sei, so dass das künstlerische Erleben das Lernen, das Beobachten, das Aneignen von Geschicklichkeit verlange. Werde der junge Mensch so erzogen und unterichtet, so könne er nach der Schulzeit die Empfindung mit sich ins Leben tragen, dass sich in ihm die moralischen Impulse im sozialen Zusammenleben mit den Mitmenschen aus der inneren Kraft seines Menschenwesens zu entfalten vermögen.

Aus: Zeitschrift „Anthroposophie“, Michaeli 2008 – Franz Bischoff, Die Erziehung zur Gerechtigkeit ,Seite 221 f


Donnerstag, 18. September 2008

Elementarer Rechenunterricht

Der elementare Rechenunterricht in der Waldorfschule verwendet viel Zeit darauf, die Kinder mit Kastanien, Eicheln oder Nüssen rechnen zu lassen. Sie zählen und gliedern die Häufchen, dann schieben sie sie wieder zusammen. Das Rechen am praktischen Gegenstand schult die Fähigkeiten, die man später ständig im Rechen braucht. Das Rechen wird zunächst nicht mit dem Kopf, sondern mit den Gliedmaßen und den Sinnen vollzogen. Diese sorgfältige Hinführung ist gewöhnlich von außerordentlich viel Erfolg gekrönt. Wir schreiten dann recht leicht und zügig im Unterricht voran. Rechenschwächen zeigen sich seltener.

Pi mal Daumen



Wer gut Mengen schätzen kann, ist auch besser in Mathematik

Wie gut ein Schüler in Mathematik ist, hängt mit einem intuitiven Gespür für Mengen zusammen, berichten US-Forscher. Wer mit einem Blick und ohne zu zählen zuverlässig beispielsweise die Menge von Punkten auf einem Monitor erfassen kann, zeigt auch in anspruchsvolleren mathematischen Tests bessere Leistungen, haben die Wissenschaftler herausgefunden.

Die Forscher untersuchten 64 Neuntklässler im Alter von 14 Jahren, die normal entwickelt waren und deren mathematische Fähigkeiten mit Standardtests vom Kindergarten bis zur sechsten Klasse beobachtet wurden. Die Schüler nahmen an einem Test teil, bei dem auf einem Monitor blaue und gelbe Punkte verschiedener Größe erschienen. Die Jugendlichen sollten entscheiden, von welcher Farbe mehr Punkte zu sehen waren. Um auszuschließen, dass die Schüler die Punkte zählen, wurden die Farbkleckse nur für den Bruchteil einer Sekunde präsentiert.

Es zeigten sich große Unterschiede in der Genauigkeit der Schätzungen, die sich auch in den mathematischen Leistungen der Jugendlichen widerspiegelten. So schnitten die Jugendlichen, die die Anzahl von Punkten genauer schätzen konnten, auch bei den Mathetests besser ab. Dieser Zusammenhang war unabhängig von der Intelligenz oder der Fähigkeit zum räumlichen Denken, berichten die Forscher, die auch diese Eigenschaften bei den Schülern testeten. ...



ddp/wissenschaft.de – Sonja Römer



Dienstag, 9. September 2008

Schlechtere Lernerfolge für Jungen ?

Es bahnt sich derzeit eine geradezu dramatische Entwicklung an, dass Jungen es immer schwerer haben. In den Klassen sind häufig die "schwierigen " Kinder nur Jungen. Übersehen wird leicht die Problematik der unscheinbaren, unauffälligen, braven, fleißigen Mädchen, die oft so leise ihre Antworten in der Klasse geben, dass man sie nur schwer versteht. Aber sie erfreuen sich einer viel größeren Sympathie bei den Erziehern als laute, kräftige Jungen.
Die dominanten Kulturphänomene wie Fußball und Computerspiele nehmen auch noch hauptsächlich die Jungen in Anspruch und ruinieren ihnen teilweise den ganzen Schulerfolg. Das Pflegen z.B. von sentimentalen Gefühlsempfindungen oder der Aufmerksamkeit auf das eigene äußere Erscheinungsbild bei Mädchen dagegen läuft viel verborgener ab und beeinflusst weniger ihre Leistungen und wird fast als normal angesehen.
Auf Elternabenden wird auch schnell die robustere Umgangsart der Jungen problematisiert. Gleich ist die Rede von "Gewalt". Es wird immer schlimmer! Wenn einer das sagt, dann nickt man zustimmend. Eine andere Meinung zu vertreten ist fast tabu. - Deshalb werde ich das auch hier nicht tun! Sondern ich werde auch sagen: Es wird immer schlimmer! - und meine damit die Urteile der Erwachsenenwelt.
Nun der aktuelle Artikel:

Debatte: "Triumph der Schmetterlinge" - SchulSPIEGEL - SPIEGEL ONLINE - Nachrichten


Von Ralf Neukirch

... Jungen werden in der Schule benachteiligt und fallen hinter die Mädchen zurück.


....Dabei sind die Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen in der Schule mittlerweile ein großes Problem. Jungen schneiden in fast allen Bereichen schlechter ab. 47 Prozent der Mädchen gehen auf ein Gymnasium, bei den Jungen sind es nur 41 Prozent. Fast ein Drittel der Mädchen macht Abitur oder Fachabitur, aber nur ein knappes Viertel der Jungen. Die sind im Schnitt eine Note schlechter als die Mädchen. Es gibt deutlich mehr Jungen, die nicht einmal einen Hauptschulabschluss schaffen. Männliche Schüler werden deutlich häufiger an eine Sonderschule überwiesen.....

......

Es ist eine Sichtweise, mit der sich die Welt sehr einfach erklären lässt. Nachteile von Mädchen etwa bei Hochschulabschlüssen oder in einigen Berufsfeldern werden "als Indikatoren einer noch immer nicht überwundenen Ungleichheit von Mädchen gesehen", wie die Münchner Bildungssoziologin Heike Diefenbach klagt. Der Bildungsvorsprung von Mädchen gelte dagegen als "erfreuliche Verringerung der sozialen Ungleichheit zwischen den Geschlechtern". In der Wirklichkeit kann von Gleichberechtigung an den Schulen keine Rede sein. Der Hallenser Bildungsforscher Jürgen Budde kam in einem Bericht für das Bundesbildungsministerium zu erstaunlichen Schlüssen. So erhalten Jungen in allen Fächern bei gleicher Kompetenz schlechtere Noten. .....

Auch ohne Studien lässt sich aber ein relativ offenkundiger Grund für die Ungleichbehandlung der Jungen ausmachen. Es ist die Feminisierung des gesamten Schulwesens. Die Zahl der Lehrerinnen ist gestiegen, an vielen Grundschulen sind Lehrer bereits Exoten. Hinzu kommt, dass einige fragwürdige Annahmen der Geschlechterforschung längst den Schulalltag bestimmen.

Dazu gehört die Überzeugung, dass Verhalten, das typisch männlich ist - oder als solches gilt -, schlecht ist. Jede harmlose Schulhofrangelei steht mittlerweile unter Gewaltverdacht und wird unterbunden. Natürlich ist es sinnvoll, kleinen Jungen zu erklären, dass Schlagen keine Lösung ist. Aber muss bei jeder Rauferei gleich der Konfliktlotse angerannt kommen?

Der Unterricht, schreibt der Frankfurter Bildungsforscher Frank Dammasch, sei eher an weibliche Formen des Lernens und Gestaltens angepasst. Wenn sich Jungen wie Jungen verhalten, wird dies dagegen sanktioniert.


Montag, 18. August 2008

Soll man Mädchen und Knaben ( in der Handarbeit ) getrennt nehmen?

Hier sollen einige weitere Äußerungen Rudolf Steiners im pädagogischen Zusammenhang zu Mädchen und Jungen folgen:



"In diese Zeit fällt dann auch noch dasjenige hinein, was als besonders wichtig gehalten werden muss: der Handarbeitsunterricht; auch zum Teil dasjenige, was man gewöhnlich als den Handfertigkeitsunterricht bezeichnet. Der Handarbeitsunterricht wird gemäß dem Prinzip der Waldorfschule, das ja in einer Klasse Knaben und Mädchen vereinigt, auch für Knaben und Mädchen gleichmäßig getrieben. Und es ist im Handarbeitsunterricht eine große Freude für einen, wenn die Knaben und Mädchen zusammen stricken, häkeln und andere ähnliche Arbeiten machen. Man kann durchaus aus der Schulpraxis heraus die Versicherung geben, obgleich der Knabe etwas anderes hat von dem Stricken als das Mädchen, dass dennoch der Knabe auch viel hat davon, und dass er es vor allen Dingen mit großer Freude tut. Es ist dieses Zusammenarbeiten für die Gesamtentwickelung eines Menschen, wie sich bisher gezeigt hat - ich werde auch das in den Einzelheiten noch besprechen, von einem ganz besonderen Vorteile. In dem Handfertigkeitsunterricht müssen dann wiederum die Mädchen genau dasselbe mitmachen, was die Knaben machen, schwerere Arbeiten, so dass überall auf die Geschicklichkeit, auf das Geschicktwerden des Menschen hingesehen werden kann. ...

Aus: GA 303 Seite 143



"Das einzige, was sich in merkwürdiger Art herausgestellt hat, das ist wir gehen dann in der höchsten Klasse, die wir bis jetzt gebildet hatten, in der die sechzehn , siebzehnjährigen Knaben und Mädchen durcheinander sind, über auch zu Spinnen und Weben, so dass tatsächlich die Menschen ins praktische Leben eingeführt werden, das Leben auch kennenlernen, nun ist das Merkwürdige: spinnen wollen die Knaben nicht, dabei wollen sie nämlich den Mädchen helfen. Die Mädchen sollen spinnen, und die Knaben wollen dann Zuträger sein, sie wollen da eine Art Ritterschaft ausüben. Das ist das einzige, was sich bis jetzt herausgestellt hat, dass beim Spinnen die Knaben die Mädchen bedienen wollen. Aber im übrigen haben wir gesehen, dass die Knaben alle möglichen Handarbeiten machen."


Mädchen und Jungen im gemeinsamen Unterricht

Rudolf Steiner wies schon bei der Begründung der Waldorfschulen auf die Bedeutung des gemeinsamen Unterrichtes von Jungen und Mädchen hin. Damals war ja die Koedukation in den öffentlichen Schulen noch nicht üblich. Ihre Wirkung beschreibt er einmal folgendermaßen:


Man kann da (in den Lehrerkonferenzen) tatsächlich ungeheuer viel lernen. Wir haben in der Waldorfschule gemischte Klassen, Mädchen und Knaben nebeneinander. Nun, ganz abgesehen von dem, was sich die Knaben und Mädchen sagen oder was sie mit ihrem Bewusstsein miteinander austauschen, kann man einen deutlichen Unterschied bemerken zwischen Klassen, in denen mehr Mädchen als Knaben sind, und Klassen, in denen mehr Knaben als Mädchen sind oder in denen Knaben und Mädchen gleich verteilt sind. jahrelang bin ich dem nachgegangen, und immer hat es sich gezeigt: Es ist etwas ganz anderes, eine Klasse, wo mehr Mädchen als Knaben sind.


In einer Klasse, wo mehr Mädchen als Knaben sind, findet man sehr bald, daß man selber als Lehrer verhältnismäßig weniger müde wird, weil die Mädchen leichter auffassen, aber auch mit einem größeren Eifer auffassen als die Knaben. Aber man findet auch zahlreiche andere Unterschiede. Vor allen Dingen findet man sehr bald heraus, dass die Knaben selber in der Leichtigkeit ihrer Auffassung gewinnen, wenn sie in der Minderzahl sind, während die Mädchen verlieren, wenn sie selbst in der Minderzahl sind Und so sind zahlreiche Unterschiede da, die nicht durch das Mitteilen, nicht durch das gegenseitige Behandeln bestehen, sondern die im Imponderablen bleiben, Imponderabilien sind.

(Aus: Rudolf Steiner, Die Kunst des Erziehens , GA 311, S. 122)

Nun folgt dazu eine interessante Meldung aus der Erziehungskunst:

"Mädchen - Mehrheit im Klassenzimmer

In den letzten Jahren ist die Koedukation, der gemeinsame Unterricht von Jungen und Mädchen, immer wieder in die Diskussion gekommen. Manche wollten sie ganz oder teilweise abschaffen, um den Mädchen ein besseres Lernen in den Naturwissenschaften zu ermöglichen. Andere sahen die Jungen als Bildungsverlierer und wollten eine gezielte Förderung von Jungen eventuell in einem speziellen Jungen Unterricht oder einer Jungenschule. Und wieder andere waren aus religiös kulturellen Gründen ohnehin gegen Koedukation.

Jetzt hat ein israelisches Forscherteam die Wirkung von Mädchen auf die Schulleistung aller Schüler im Klassenzimmer untersucht. Das überraschende Ergebnis ihrer unveröffentlichten Studie: Mädchen im Klassenzimmer sind gut für den Schulerfolg aller. Am besten ist sogar, wenn Mädchen die Mehrheit in der Klasse bilden. Eine Mädchen-Mehrheit von 55 Prozent führt insgesamt zu besseren Schulleistungen der ganzen Klasse und zu weniger Gewalt im Klassenzimmer, wie Analia Schlosser und ihr Kollege Victor Lavy bei ihrer Untersuchung von Schulklassen in der Grundschule, der Mittel und Oberstufe feststellten."

Quelle:Erziehungskunst 6/2008

Samstag, 16. August 2008

Mathematik braucht Sachlichkeit

Mathe lernen

Wer kennt nicht die berühmte Torte, mit der den Kindern die Bruchrechnung "schmackhaft" und anschaulich gemacht werden soll. Die Phantasie der Pädagogen in dieser Richtung, um den Mathematikunterricht aufzulockern, ist groß. Aber ist diese Vorgehensweise auch richtig?


Das Rechnen unterscheidet sich doch sehr von anderen Schulfächern. Es lebt von Klarheit und Sachlichkeit. Von daher ist folgende Meldung in der Erziehungskunst durchaus wichtig und ernst zu nehmen:


"Ob Textaufgabe, reales Problem oder praktische Anwendung trockene Mathematik wird Schülern gerne anhand anschaulicher Beispiele näher gebracht. Doch Beispiele helfen nicht unbedingt dabei, mathematische Konzepte zu verinnerlichen und bei der Lösung anderer Aufgaben zu verwenden. Abstrakte Prinzipien dagegen erleichtern es, das Gelernte auch auf neue Situationen zu übertragen, berichten amerikanische Psychologen im Fachblatt "Science". Das Problem bestünde möglicherweise darin, dass ausführliche Informationen die Aufmerksamkeit von der tatsächlichen Mathematik dahinter ablenkten. Zwar raten die Forscher nach ihren Beobachtungen nun nicht, gänzlich auf Beispiele zu verzichten. Doch beim Einführen neuer Konzepte ausschließlich Beispiele zu verwenden, würde die Fähigkeit, sie in anderem Zusammenhang anzuwenden, stark einschränken."



Quelle:Erziehungskunst 6/2008

Freitag, 4. Juli 2008

Mehr Geld für Waldorfschulen ?

03.07.2008
Jungs stricken in einer Waldorf-Schule. (Bild: AP) Jungs stricken in einer Waldorf-Schule. (Bild: AP)

Gegen Bildungsarmut

Aktionsrat Bildung fordert bessere Förderung von Privatschulen

Bildungsexperte Ludger Wößmann vom Aktionsrat Bildung hat die Forderung der Waldorf-Schulen nach einer stärkeren öffentlichen Förderung privater Schulen unterstützt.

Der internationale Vergleich zeige, dass in Ländern mit einem größeren Anteil privater Schulen die Leistungen der Schüler insgesamt besser seien, sagte der Professor für Bildungsökonomie der Universität München am Donnerstag im Deutschlandradio Kultur.

Auch die Leistungen in den staatlich geleiteten Schulen seien dann größer: "Das ist vermutlich auf einen Wettbewerbseffekt zurückzuführen. Schulen in privater Trägerschaft bieten einfach Alternativen zum öffentlichen System an." Öffentliche Schulen würden sich verbessern, wenn sie diesem Wettbewerb ausgesetzt seien. Dafür bräuchten auch öffentliche Schulen mehr Handlungsfreiheiten.

Wößmann sprach sich für eine finanzielle Gleichstellung privater Schulen gegenüber den öffentlichen Schulen aus: "Wenn wir das zugestehen würden, käme es sicherlich zu mehr Dynamik und Innovationskraft im Bildungssystem." Wößmann betonte aber auch: "Es muss natürlich so sein, dass sich nicht nur die Oberen Zehntausend diese privat geleiteten Schulen leisten können, sondern jeder."

Quelle: hier

Sonntag, 29. Juni 2008

aphoristisch

Neue Strukturen

Überall wird von neuen Strukturen geredet.

Es kommt einem so vor, als ob man meint, dass durch einen neuen Fernsehapparat das Programm besser würde.

Der Schlaf

Die Bedeutung des Schlafes und des „Überschlafens“ wird durch immer weitere, neue Forschungsergebnisse gestützt.
Für die Pädagogik sind diese Erkenntnisse von Bedeutung:


Hier einige Auszüge aus der Zeitschrift „Welt der Wunder“ 7/08 -S.28f.:

"Einsam wacht unser Gehirn, der Nachtschwärmer: Die Melodie von „Yesterday“ kam Paul Mac Cartney über Nacht in den Sinn. Robert L. Stevenson ersann „Mr. Jekyll und Mr.Hyde“ über Nacht....Warum? „Weil unser Gehirn im Schlaf Zusammenhänge herstellt, die im Wachzustand übersehen werden“. .... Ohne Träume gibt es keine Kreativität.....


IDEEN BRAUCHEN SCHLAF
...Jetzt kann die Schaltzentrale der Erinnerung in Ruhe arbeiten. Vorstellungen, Gedanken und Ideen können frei assoziiert werden.


OHNE GEDÄCHTNIS KEINE EINFÄLLE
Das Gedächtnis festigt nachts gelerntes Wissen... Die Schlaffforschung weiß: Während der Tiefschlafphase festigt das Gehirn räumliches und Faktenwissen, während der kurzwelligen REM-Phase starke emotionale Erinnerungen. Auch Fähigkeiten (etwa Klavierspielen) werden in dieser Phase verarbeitet und perfektioniert.



Freitag, 27. Juni 2008

Die Haut

Man stellt immer mehr fest, wie sorglos Kinder und Jugendliche mit ihrer Haut umgehen.
Es wird alles mögliche daraufgekritzelt und daraufgeklebt. Die Haut wird wie ein Stück Papier oder Wand behandelt, dabei handelt es sich bei der Haut um eines unserer kostbarsten Organe. Welche Folgen diese Dinge haben, weiß keiner.
Deutlich wird im folgenden Artikel, dass gewisse Wirkungen sich auch erst nach Jahrzehneten einstellen können.


20. Juni 2008
Auszüge aus einem Artikel aus "Die Welt"

Haut ist viel mehr als eine Hülle

Die Haut ist das größte Organ eines Menschen...
"WELT ONLINE: Was bedeutet Modellcharakter?

Asadullah: Wir verstehen die Haut heute nicht einfach nur als eine leblose Wand und Hülle des Körpers, sondern als ein hochaktives immunologisches Organ. Der Verlauf von Hautentzündungen und die Entwicklung von Hauttumoren lassen sich von einer sehr frühen Phase an verfolgen. Damit hoffen wir, grundsätzliches Wissen über die Eigenschaften der Haut zu gewinnen. Hauttumoren könnten, weil sie sich viel besser studieren lassen als Tumoren im Körperinneren, als Modelle für andere Krebsleiden dienen.
....

Asadullah: Was man gar nicht genug betonen kann, ist ein verantwortungsvoller Umgang mit direkter Sonnenbestrahlung. Das gilt insbesondere für Kinder, die bei Sonnenwetter am Badestrand am besten einen leichten Textilschutz tragen oder zumindest ausreichend durch Sonnencreme mit hohem Lichtschutzfaktor geschützt sein sollten. Denn die Haut hat ein Gedächtnis. Ein Schaden, der ihr in jungen Jahren zugefügt worden ist, kann sich später als Hautkrebs rächen.


WELT ONLINE: Über welche Zeiträume sprechen wir da? Wenn zum Beispiel ein Fünfjähriger zu viel Sonnenstrahlung erhält, wann ist dann mit einem Hautkrebs zu rechnen?

Asadullah: Zunächst einmal gilt auch hier: Die Menge macht das Gift. Es ist wissenschaftlich belegt, dass häufige Sonnenbrände in der Kindheit das Risiko erhöhen, als Erwachsener an Hautkrebs zu erkranken. Das Tückische ist, dass dies 30 bis 40 Jahre später erfolgt. Wir haben bis heute den Mechanismus nicht verstanden, der mit dieser großen zeitlichen Verzögerung zur Erkrankung führt. Auch diese Frage wäre ein Thema für das Deutsche Hautforschungszentrum.


.... WELT ONLINE: Haben Sie auch einen Ratschlag zur Vermeidung von entzündlichen Hauterkrankungen?

Asadullah: Uns ist bis heute nichts bekannt, wie sich die Entstehung von entzündlichen Hauterkrankungen im Vorfeld verhindern lassen könnte. Ich kann hier nur empfehlen, möglichst schnell zum Hautarzt zu geben, sobald eine Veränderung der Haut festgestellt wird.

Das Interview führte Norbert Lossau

Hochbegabung

Auszüge aus einem Artikel in der FAZ, der für viele Diskussionen äußerst hilfreiche Argumente liefern kann:


Vom Recht der Hochbegabten, nicht ständig gefördert zu werden


26. Juni 2008

Der Psychologe Detlev Rost forscht seit dem Ende der achtziger Jahre über Hochbegabung. Im Gespräch erläutert er die dabei gewonnenen Einsichten über den Zusammenhang besonderer Begabung und Persönlichkeitsmerkmalen.


"Hochbegabte, also Menschen mit einem IQ von mindestens 130, sind Einzelgänger, Sonderlinge, hochsensibel und sozial nicht kompatibel.

Das ist absolut dummes Zeug!


Aber eine gängige Ansicht.

Es steht so auch in fast allen Büchern zum Thema drin. Wenn man sich aber weltweit die methodisch guten Studien ansieht, findet man dafür keinen Beleg. Ganz im Gegenteil, es zeigt sich, dass Hochbegabte mindestens genauso gut abschneiden, was Persönlichkeit und soziale Anpassung angeht, wie durchschnittlich Begabte. Manchmal sogar ein bisschen besser.


Woher kommt der verbreitete Glaube, dass Genie und Wahnsinn sehr dicht beieinanderliegen?

Unser Projekt zum Beispiel ist vom Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft finanziert worden. Allein die siebentausend Kinder herauszusuchen, daran haben sieben Psychologen ein Jahr lang gearbeitet. Da kann man sich vorstellen, was das kostet. Ein normaler Forscher hat gar nicht so viel Geld. Viele Forschungen werden daher in kleinem Rahmen an Institutionen gemacht, in denen viele Hochbegabte sind: Schulen für Hochbegabte, Elternvereinigungen und so weiter. Nehmen wir Letztere: Wer organisiert sich denn in solchen Gruppen? Ich habe noch nie eine Selbsthilfegruppe für das pflegeleichte Sonnenscheinkind gesehen. Dort sind natürlich problematische Kinder überrepräsentiert. Und dann wird von diesen auf die Hochbegabten überhaupt verallgemeinert - das ist der Fehler.


Aber da muss doch mehr dahinterstecken. Woher kommen denn die vielen Geschichten von genialen Schulversagern und begnadeten Nieten?

Ich habe nicht gesagt, dass es nicht auch Hochbegabte gibt, die Probleme haben. Nur, die Probleme kommen bei Hochbegabten nicht seltener und nicht häufiger vor als bei Normalbegabten. Das hat nichts mit der Begabung zu tun, sondern mit anderen Faktoren. Es ist aber doch so: Für Zeitungen und Talkshows sind doch nur die Fälle interessant, in denen ein Kind große Schwierigkeiten hat, gemobbt wird. Wenn da ein ganz normales Kind sitzt, interessiert das doch keinen.


Wie hat sich der Umgang mit dem Thema Hochbegabung verändert, seitdem Sie 1987 Ihre umfangreiche Studie begannen?

Damals musste man sich noch entschuldigen, wenn man zum Thema Hochbegabung forschte, so tabuisiert war das. Heute muss man sich fast entschuldigen, wenn man nicht über Hochbegabung forscht. Als ich das Projekt begann, galt ich als Exotenvogel. Es wurde mir sogar gedroht, meine Autoreifen aufzuschlitzen. Es war allein schon sehr schwer, die Schulen zur Mitarbeit zu gewinnen.


Vor dem Hintergrund Ihrer Erkenntnisse prangern Sie eine "Hochbegabtenhysterie" in Deutschland an.

Ja, heutzutage ist eine Förderhysterie ausgebrochen. Es gibt sehr viele Eltern, die glauben, ihr Kind würde nur noch aus dem Intellekt bestehen. Diese Eltern achten gar nicht mehr auf die anderen Bedürfnisse des Kindes. Das geht natürlich viel zu weit. Ich will damit nicht sagen, dass man nichts für Hochbegabte tun soll. Aber auch hochbegabte Kinder brauchen Freizeit, hochbegabte Jugendliche müssen auch mal rumhängen und mal nicht gefördert werden.


Sie halten also nichts von gesonderten Förderklassen oder Sonderschulen, wo die Hochbegabten unter sich sind?

Nein, insbesondere wenn die Kinder noch jung sind. Hochbegabte müssen lernen, dass sich der Wert eines Menschen nicht an der Intelligenz oder Begabung festmachen lässt, sondern aus ganz vielen anderen Facetten besteht, die genauso wichtig sind. Und das lernen sie, indem sie mit Normalbegabten zusammen sind. Andersherum müssen durchschnittlich Begabte lernen, dass Hochbegabte genauso nette Zeitgenossen sind wie alle anderen auch. Wenn man Hochbegabte frühzeitig herausnimmt, raubt man beiden Gruppen die Gelegenheit, den Umgang miteinander zu lernen. Sonderschulen sind immer Notlösungen, wenn es normale Schulen nicht schaffen, mit der Variabilität hinsichtlich der Begabungen zurechtzukommen.


Ihre Probanden waren zu Beginn ihrer Studie, Ende der achtziger Jahre, in der dritten Schulklasse. Davon sind heute gewiss viele auf dem Sprung oder schon im Berufsleben. Laufen deren Karrieren ihrem Intellekt entsprechend?

Wir haben festgestellt, dass von den Hochbegabten fast alle studieren. Aber von den durchschnittlich Begabten studieren auch eine ganze Reihe. Hochbegabte ziehen ihr Studium indes deutlich zügiger durch. Sie sind schon als Schüler sehr leistungsorientiert - das setzt sich im Studium fort.


...

Wo läuft die Hochbegabtenförderung besser als in Deutschland?

In Finnland zum Beispiel wird über Förderklassen oder Ähnliches erst gar nicht diskutiert. Der Lehrer richtet sich von Beginn an darauf ein, dass die Klasse sehr heterogen ist und dass er individuell differenzieren muss. Ein Lehrer, der zulässt, dass unterschiedliche Lernwege eingeschlagen werden, hat noch keinem geschadet - auch nicht den Hochbegabten.

Ob in Finnland oder in Deutschland: Geht es nicht zu Lasten der sehr guten Schüler, wenn sich der Lehrer häufig mit den schwächsten Klassenkameraden aufhalten muss? Führt das nicht zu zäher Langeweile bei den Hochbegabten, wenn sie stetig unterfordert werden?

Langeweile ist kein Zeichen für Hochbegabung, sondern für schlechten Unterricht. Es gibt in Deutschland ungefähr 380 000 Hochbegabte - meinen Sie, die langweilen sich alle in der Schule? Zu den paar Hochbegabtenschulen, die wir haben, gehen doch nur etwa fünftausend Kinder.


Viele Einzelschicksale zeigen, dass ständige Unterforderung in der Schule in Verhaltensauffälligkeiten münden können. Von dort ist es bis zum kompletten Schulversager nicht mehr weit.

Dieser Mythos hat sich schon so weit herumgesprochen, dass viele Eltern glauben, mein verhaltensschwieriges Kind ist garantiert hochbegabt. Aber es ist ja nicht so, dass der Lehrer langweiligen Unterricht macht und, zack-bumm, das Kind ist verhaltensgestört. Das Wichtigste an der Hochbegabtenförderung ist eine vernünftige Lehrerförderung und -weiterbildung. Damit ist das meiste getan. Wenn der Lehrer einen guten, spannenden Unterricht macht, wird der Hochbegabte auch in seiner normalen Klasse hinreichend gefördert. Ältere Schüler können sich alle weiteren Anregungen sowieso selber holen, die sie brauchen - zum Beispiel über das Internet."

...
Die Fragen stellte Alex Westhoff.



Text: F.A.Z.

Freitag, 20. Juni 2008

Aus dem Überlebenshandbuch

Hausaufgaben
"Es ist interessant, dass es wenig eindeutigere Stellen bei Rudolf Steiner gibt als die, wo er über Hausaufgaben gesprochen hat, und er hat davon abgeraten, Es ist aber trotzdem so, dass gerade die Lehrer, die Steiner so gerne zitieren, wenn es um den Entwurf für Briefpapier für die Schule geht, an Gedächtnisschwund zu leiden scheinen, wenn sie versuchen, die vielen Hausaufgaben für ihre Schüler zu rechtfertigen.
Der Hauptbeweggrund der Waldorflehrer, die Hausaufgaben geben, ist das Zufriedenstellen der Eltern. Die Eltern hatten selber in der Regel eine konventionelle Schulbildung und, obwohl ihre Herzen der Waldorfmethode sehr verbunden sind, werden ihre Köpfe immer noch stark von ihren eigenen Schulerlebnissen beeinflusst. Wenn die Flitterwochen von Kindergarten und Klassen eins bis vier vorbei sind, dann werden sie unruhig, und sehnen sich nach der bequemen, bekannten "Sicherheitsdecke," zusammengeflickt aus Hausaufgaben, Prüfungen und Noten.
Es ist wie bei der Pünktlichkeit: wenn das Kollegium sich darüber einig wäre, Rudolf Steiners Vorschläge zu befolgen und keine Hausaufgaben zu geben, wären die Eltern im großen und ganzen einverstanden. Aber Waldorflehrer haben oft auch eine konventionelle, vielfach intellektuelle Bildung. Wenn sie im Stoff der höheren Klassen unsicher werden, dann greifen sie nach der gleichen Sicherheitsdecke!
Dann ist die Hausaufgabe eine Art Treffpunkt für Eltern und Lehrer?
Ein Treffpunkt, den man erreicht, indem man den Pfad des geringsten Widerstandes einschlägt! Es ist die Antwort des faulen Mannes auf die pädagogischen Bedürfnisse der älteren Schüler."
Quelle: Eugene Schwartz, Überlebenshandbuch für Waldorflehrer – Maroverlag 2006

Donnerstag, 12. Juni 2008

Säuglinge können an Gesichtern die Gefühle ablesen

wissenschaft.de - Eingebautes Alarmsystem


11.06.2008 - Psychologie

Eingebautes Alarmsystem


Schon mit drei Monaten können Babys Furcht in Gesichtern erkennen und auch deren Ursache ausmachen

Furcht im Blick eines Erwachsenen lenkt schon bei Kindern im Alter von drei Monaten die Aufmerksamkeit auf den Gegenstand, den ihr Gegenüber fixiert: Er löst im Gehirn der Kleinen eine viel stärkere Reaktion aus als ein Objekt, das zuvor mit einem neutralen Gesichtsausdruck angeschaut wurde, haben Forscher aus Leipzig und New York nachgewiesen. Damit nutzen Kinder schon sehr viel früher als angenommen sogenannte soziale Referenzen – Hinweise und Signale, die aus dem Verhalten anderer Menschen abgeleitet werden. Bisher hatten Forscher vermutet, diese Fähigkeit entwickle sich nicht vor dem Ende des ersten Lebensjahres.



Normalerweise, schreiben die Wissenschaftler, werden Studien mit kleinen Kindern auf Basis von deren Verhalten ausgewertet. Unerwartetes quittieren die Kleinen beispielsweise damit, dass sie es länger anschauen als etwas, an das sie bereits gewöhnt sind. Dazu ist es jedoch nötig, dass die Kinder sich koordiniert bewegen können – und dazu sind sehr junge Säuglinge noch nicht in der Lage. Aus diesem Grund entschieden sich Höhl und ihre Kollegen für einen anderen Ansatz: Sie maßen mit Hilfe von Elektroden die Hirnströme ihrer jungen Probanden und werteten anschließend aus, wie ausgeprägt bestimmte Signale in den verschiedenen Studiensituationen waren.

Auf einem Monitor wurde den Kindern dazu zum Beispiel ein Gesicht gezeigt, dessen Blick auf einen ihnen unbekannten Gegenstand gerichtet war. In einem Teil der Tests trug das Gesicht dabei einen angstvollen Ausdruck, während es in anderen Versuchen eine völlig neutrale Miene zeigte. Anschließend erschienen nur die zuvor gesehenen Gegenstände ohne das Gesicht auf dem Display. In den Hirnstrommessungen fand sich der Unterschied zwischen diesen beiden Situationen eindeutig wieder, entdeckten die Forscher. Vor allem in der rechten Hirnhälfte folgten dem furchtsamen Blick sehr viel ausgeprägtere Signale als dem neutralen – die Kinder richteten ihre Aufmerksamkeit also deutlich mehr auf den angstvoll betrachteten Gegenstand als auf den anderen.

Die Kleinen können demnach bereits emotionale Gesichtsausdrücke wahrnehmen, sie interpretieren und zudem nur auf Basis der Blickrichtung eine Verbindung dieser Emotionen mit Objekten herstellen, schließen die Forscher. Im Gehirn ist dafür wohl hauptsächlich die Amygdala verantwortlich, die auch bei Erwachsenen für das Registrieren und die Interpretation von emotionalen Signalen sowie die Kontrolle der Aufmerksamkeit zuständig ist. Aus Sicht der Evolution betrachtet sei es sinnvoll, dass diese Fähigkeit schon so früh angelegt ist – schließlich sei das Erkennen einer Bedrohung überlebenswichtig. Die Wissenschaftler wollen nun testen, ob auch andere Emotionen als Angst solche Reaktionen bei den Kleinen hervorrufen.


Stefanie Höhl (Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig) et al.: PLoS ONE, Bd. 3, Artikel e2389

ddp/wissenschaft.de – Ilka Lehnen-Beyel

Dienstag, 10. Juni 2008

ADHS: Mancher bleibt ein Leben lang Zappelphilipp

Bitte unbedingt auch den allerletzten Absatz lesen!
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ADHS: Mancher bleibt ein Leben lang Zappelphilipp - Nachrichten Wissenschaft - Medizin - WELT ONLINE

3. Juni 2008
Von Lajos Schöne



Vier bis fünf Prozent aller Kinder leiden am Hyperkinetischen Syndrom, auch ADHS genannt: Sie kaspern und zappeln, sind unkonzentriert, überdreht und flippen schon bei Kleinigkeiten aus. Bei jedem dritten Kind wächst sich das Syndrom nicht aus – Hyperaktive Erwachsene sind oft chaotisch, launisch und sprunghaft.


Hoffmann,Zappel-Philipp
Foto: pa


Jeder dritte Zappelphilipp bleibt ein Zappelphilipp.
Die Hoffnung, das Problem werde sich mit der Zeit schon geben, geht leider nicht immer in Erfüllung. Ein bis zwei Drittel der Betroffenen haben auch noch als Erwachsene mit ADHS zu kämpfen. Sie entwickeln sich zu zerstreuten, sprunghaften und launischen Chaoten.


Im Erwachsenenalter liegt häufig eine Kombination aus Konzentrationsschwäche und gestörter Aufmerksamkeit und Impulsivität vor, berichten die Freiburger Psychiater Alexandra Philipsen, Bernd Heßlinger und Professor Ludger Tebartz van Elst im „Deutschen Ärzteblatt". Dabei seien verschiedene Schweregrade möglich: „Die Störung kann gering ausgeprägt sein und erscheint dann eventuell nur als Variante ‚normaler' Persönlichkeitsmerkmale. Sie kann aber auch zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Lebensführung führen. Man findet bei ADHS deutlich erhöhte Raten für frühe ungeplante Schwangerschaften, Geschlechtskrankheiten, Verkehrsunfälle, Scheidungen, niedrigere Bildungsabschlüsse, häufige Arbeitsplatzwechsel und Arbeitslosigkeit."


Noch in den 90er-Jahren wurde ADHS als eine Störung bei Kindern und Jugendlichen angesehen. Mittlerweile werden an mehreren universitären Spezialambulanzen betroffene Erwachsene untersucht.
Die mangelhafte Kontrolle seiner Affekte macht dem erwachsenen Zappelphilipp in Beruf und Partnerschaft oft schwer zu schaffen. In den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) zur Diagnose und Behandlung der ADHS im Erwachsenenalter heißt es dazu: „Der Patient (und sein Partner) berichten von andauernder Reizbarkeit, auch aus geringem Anlass, verminderter Frustrationstoleranz und Wutausbrüchen. Gewöhnlich sind die Wutanfälle nur von kurzer Dauer. Eine typische Situation ist die erhöhte Reizbarkeit im Straßenverkehr im Umgang mit anderen Verkehrsteilnehmern. Die mangelhafte Affektkontrolle wirkt sich nachteilig auf Beziehungen zu Mitmenschen aus."
Die Patienten sind an ihrer motorischen Unruhe zu erkennen: Sie trommeln mit den Fingern oder wippen mit den Füßen, laufen nicht langsam, sondern eher schnell. Sie fühlen sich unwohl, wenn sie längere Zeit ruhig sitzen sollen. Häufig haben sie eine schwer lesbare, unter Zeitdruck zunehmend undeutlicher werdende Schrift.


Als sehr störend empfinden es Mitmenschen, dass die Patienten ständig in Gespräche reinplatzen und dazwischenreden. Viele Zappelphilippe können auch als Erwachsene nicht lange bei einer Sache bleiben. Wegen ihrer gestörten Konzentration lesen sie kaum Bücher und überfliegen in der Zeitung oft nur die Überschriften. Sie sind vergesslich und mit ihren Gedanken scheinbar ständig woanders. Typisch ist das häufige Liegenlassen von Gegenständen und Vergessen von Aufträgen. Der erwachsene Zappelphilipp neigt zu ausgeprägter Unordnung und Chaos am Arbeitsplatz und im Haushalt.
Zur Behandlung der erwachsenen ADHS-Patienten empfehlen die Leitlinien der Psychiater eine Kombination aus Medikamenten und Psychotherapie. Dank einer Psychtherapie können die Patienten eine Struktur in ihr Leben bringen. Als Arzneien kommen für sie sogenannte Stimulanzien infrage.
„Medikament der ersten Wahl ist nach den deutschsprachigen Leitlinien Methylphenidat", schreiben die Freiburger Forscher. „Nach den vorliegenden Metaanalysen ist die Wirksamkeit von Methylphenidat als sehr gut zu bewerten." Allerdings muss es immer genommen werden – nach dem Absetzen treten die Symptome meist wieder auf. . . .


Viele erwachsene Zappelphilippe haben eines gemein: Wenn etwas sie besonders interessiert, können sie sich regelrecht „zusammenreißen“ und sich diesem Problem äußerst intensiv und anhaltend widmen („Hyperfokussierung“). Ihre oft hohe Kreativität befähigt die zerstreuten Chaoten in manchen Berufen zu großen Leistungen. Viele Erwachsene mit ADHS arbeiten als Manager, Vertreter, Verkäufer, Politiker, Moderatoren, Entertainer, Künstler, Wissenschaftler und Erfinder. Mozart soll ebenso ein später Zappelphilipp gewesen sein wie Albert Einstein oder Salvador Dali. US-Psychologen vermuten, dass auch Ex-Präsident Bill Clinton ein erwachsener Zappelphilipp ist.



ADHS: Mancher bleibt ein Leben lang Zappelphilipp - Nachrichten Wissenschaft - Medizin - WELT ONLINE

Freitag, 6. Juni 2008

Mädchen - Mehrheit im Klassenzimmer

Mädchen wirken positiv

In den letzten Jahren ist die Koedukation, der gemeinsame Unterricht von Jungen und Mädchen, immer wieder in die Diskussion gekommen. Manche wollten sie ganz oder teilweise abschaffen, um den Mädchen ein besseres Lernen in den Naturwissenschaften zu ermöglichen. Andere sahen die Jungen als Bildungsverlierer und wollten eine gezielte Förderung von Jungen eventuell in einem speziellen Jungen Unterricht oder einer Jungenschule. Und wieder andere waren aus religiös kulturellen Gründen ohnehin gegen Koedukation.

Jetzt hat ein israelisches Forscherteam die Wirkung von Mädchen auf die Schulleistung aller Schüler im Klassenzimmer untersucht. Das überraschende Ergebnis ihrer unveröffentlichten Studie: Mädchen im Klassenzimmer sind gut für den Schulerfolg aller. Am besten ist sogar, wenn Mädchen die Mehrheit in der Klasse bilden. Eine Mädchen-Mehrheit von 55 Prozent führt insgesamt zu besseren Schulleistungen der ganzen Klasse und zu weniger Gewalt im Klassenzimmer, wie Analia Schlosser und ihr Kollege Victor Lavy bei ihrer Untersuchung von Schulklassen in der Grundschule, der Mittel und Oberstufe feststellten.

Quelle:Erziehungskunst 6/2008

Freitag, 23. Mai 2008

Zeugnisse

Zeugnisse schreiben – Freud oder Leid?


Wenn man sich in der Waldorflehrerschaft umhört, dann hat man manchmal das Gefühl, dass „für eine große Zahl der Lehrer die Zeugnisse ... eine ... Last geworden sind“ wie Steiner es schon 1924 (s.u.) einmal formulierte.

Wie ein fast unüberwindlicher Berg türmt sich diese Arbeit vor manch einem pflichtbewussten Waldorflehrer auf. Bei unseren Waldorfklassen, in denen häufig über 30 Kinder sind, kann allein die physische Schreibarbeit dem Lehrer oder der Lehrerin erhebliche Schmerzen verursachen. Der Zeitdruck verstärkt den Stress und die Anspannung. Dann will man vor den Sommerferien noch Klassenfahrten und Ausflüge durchführen. Meist gehört auch ein Johannifest und eine letzte Monatsfeier zu den normalen Aufgaben, die besonders die Klassenlehrer zu verantworten haben.

Die Fachlehrer wiederum betreuen verschiedene Klassen und die Anzahl ihrer Zeugniseinträge übersteigt oft schnell die Hundert und überschreitet gelegentlich auch die Zweihundert.

Wie kann man diese große Aufgabe bewältigen? Wie kann man sie ordentlich erledigen? Wie kann man dem Zeugnisschreiben mehr positive Aspekte abgewinnen?


Die Länge der Texte


Grundsätzlich stellt sich die Frage, müssen die Texte so lang sein, wie man sie häufig vorfindet? Könnte nicht auch weniger oder kürzer, mehr sein oder mehr bewirken?

Die Länge der Zeugnisse kommt besonders daher, dass man für den Hauptunterricht z.B. über alle Epochen eines Schuljahres im Zeugnis berichtet. Und im Fachunterricht ist es so, dass gewissermaßen jeder Fachlehrer das Zeugnis in „seinem eigenen Kämmerchen“ schreibt. Dabei will jeder in aller Kürze ganz viel Wichtiges ausdrücken. So addieren sich in den Zeugnissen die vielen Texte und Aussagen der verschiedenen Lehrer zu einer großen Fülle. Aber die Frage ist, inwieweit sich die Einzelheiten zu einer Gesamtheit oder zu einer Einheit zusammenschließen.

Liest man z.B. mehrere Hauptunterrichts-Zeugnisse einer Klasse nacheinander durch, dann kann man häufig feststellen, dass sie schematisch aufgebaut sind: Man findet oft eine Einleitung, die das allgemeine Verhalten eines Schülers charakterisiert, dann wird Epoche für Epoche beschrieben. Ähnlich können auch die Fachzeugnisse aufgebaut sein.

Nun ist es ja so, dass die Zeugnisse in erster Linie für die Eltern geschrieben werden. Diese sollen das alles lesen und angemessen aufnehmen. Der Effekt ist aber für die Eltern der, dass je mehr Aussagen in einem Zeugnis getan werden, desto mehr verliert die Einzelaussage an Gewicht. Man kann die Wirkung der Zeugnisse durchaus einmal von der psychologischen Seite aus betrachten. Viele Zeugnisse sind verwirrend. Es steht so viel darinnen, dass man als Vater oder Mutter am Ende nicht mehr weiß, was man am Anfang gelesen hat. Für das, was die Lehrerschaft häufig mit den Zeugnissen beabsichtigt, bräuchte man eigentlich besonders geschulte Eltern, die die Inhalte in richtiger Weise studieren, verdauen und verarbeiten können.

Der zunehmende Einsatz des Computers unterstützt noch die Tendenz zu immer längeren Texten und vermehrt so die Arbeit für Lehrer und Eltern.

Welche Wege man beschreiten könnte, um die Wirkung der Zeugnisse effektiver zu machen und die Arbeit für den Lehrer in einer anderen Art zu gestalten, dafür sollen in den nachfolgenden Ausführungen einige Anregungen gegeben werden, die sich aus den Hinweisen Rudolf Steiner ableiten lassen.



Biographisches über das Jahr


Zunächst ein paar vom Inhalt her meist bekannte, grundsätzliche Äußerungen Steiners zum Thema „Textzeugnisse“.

Im „Weihnachtskurs für Lehrer“ gehalten in Dornach charakterisiert er am 30.12.1921 die neuen Waldorfzeugnisse in folgender Weise:


Das Kind bekommt, wenn es am Schluss des Jahres in die Ferien geht allerdings ein Zeugnis. Da steht aber eine Art vom Lehrer ganz individuell für das Kind verfasstes Spiegelbild drinnen, etwas Biographisches über das Jahr, und es hat sich überall gezeigt, die Kinder nehmen das mit einer großen Befriedigung auf. Sie lesen da ihr Bild, das man entwirft mit einem entsprechenden Wohlwollen, aber durchaus nicht gefärbt, nicht etwa, dass man etwa irgendwelche Schönfärberei dabei übt. Sie nehmen das mit einer großen Befriedigung hin. Und dann lassen wir einen Spruch folgen, ganz individualisiert für jedes Kind, den jedes Kind in sein Zeugnis hineingeschrieben bekommt. Und dieser Spruch bildet dann für das nächste Jahr eine Art Lebensgeleitspruch. Das ist etwas, was sich, wie ich glaube, schon bewährt hat und auch später noch bewähren wird, mag man es auch sonst nach einem in den letzten Jahren in Deutschland beliebt gewordenen Ausdrucke „Zeugnisersatz» nennen.“ (GA 303, S. 155)



Etwas später (22.6.1923) äußert er sich in einer Ansprache vor Eltern in der ersten Waldorfschule in Stuttgart über die Zeugnisse und betont dabei den Aspekt der Begegnung zwischen Lehrern und Eltern, die in der Waldorfschule eine große Bedeutung habe. Dahinter steht die Tatsache, dass zur damaligen Zeit das Interesse vieler Eltern an der Schule weitaus geringer war als heute. Das staatliche Schulwesen war damals noch autoritärer geprägt als heute und deshalb war auch in der Waldorfschule die Zurückhaltung der Eltern größer, als man das von heute kennt.



Sie wissen, wir geben nicht solche Zeugnisse mit den üblichen Noten wie an öffentlichen Schulen. Wir versuchen, das Kind zu charakterisieren, auf die Individualität einzugehen. Erstens: Sitzt ein Lehrer über der Gestaltung der Zeugnisse und ist sich seiner Verantwortung bewusst, so tritt ihm Rätsel über Rätsel vor das seelische Auge, und er wägt jedes Wort, das er prägen soll. Eine große Erleichterung ist es ihm dabei, wenn er den Eltern gegenübergestanden hat, nicht wegen der Vererbungsverhältnisse, um die sich heute allein der Materialismus kümmert, sondern er sieht die Umgebung, und alles erscheint dann erst im rechten Lichte. Dabei hat man nicht nötig, in indiskreter Weise die Eltern selbst zu beurteilen, sondern er will eben in freundschaftlicher Weise sich den Eltern gegenüberstellen. Wie ich einen Brief an Bekannte und Unbekannte anders schreibe, so auch die Zeugnisse über Schüler mit bekannten und unbekannten Eltern.


Zweitens sollte der Lehrer eigentlich sicher sein, dass ein liebevolles Interesse im Elternhause ruhen würde auf solchen

Zeugnissen...“ (GA 298, S.193)


Die ersten Entwicklungsschritte der Waldorfzeugnisse


Durchaus aufschlussreich ist es, die Entwicklung der Textzeugnisse anhand der Mitteilungen in den Konferenzen historisch nachzuvollziehen. Das Textzeugnis gehört wie die gesamte Waldorfpädagogik zu den revolutionärsten Neuerungen im Erziehungswesen überhaupt.

Nach der Begründung der ersten Schule in Stuttgart musste ein Weg gefunden werden, wie diese Zeugnisse gestaltet werden sollten. Da war die Frage, wie viele Zeugnisse es geben sollte. Zunächst spricht Steiner von zwei Zeugnissen: dem Zwischenzeugnis und dem Jahreszeugnis.

Wie man später einer Bemerkung Steiners entnehmen kann, scheint von Seiten der Eltern die Forderung nach einem Zwischenzeugnis nicht erhoben worden zu sein. So blieb es beim Jahreszeugnis. Hätten die Eltern nachgefragt, dann hätte es ein Zwischenzeugnis gegeben. Man verkennt oft, wie sehr Rudolf Steiner in vielen Dingen auf die Fragen und Bedürfnisse der Menschen um sich herum eingegangen ist. Er hat geradezu immer auf die Fragen gewartet und dann innovative Lösungen angeboten.

Heute kann man ein gesteigertes Informationsbedürfnis vieler Eltern über den Lern- und Entwicklungsstand ihrer Kinder erleben. Man sieht das an der Nachfrage nach Lehrersprechstunden oder Elternsprechtagen. So dass es vielleicht überlegenswert wäre, ob eine zeugnisartige Mitteilung an die Eltern im laufenden Schuljahr ganz abwegig ist. Gerade bei Eltern, mit denen man aus den verschiedensten Gründen nicht so leicht ins Gespräch kommt, könnte eine kurze Mitteilung zur Mitte des Schuljahres durchaus sinnvoll erscheinen. Die Mitteilung während der laufenden Arbeit hat einen ganz anderen Charakter als der Rückblick auf ein vollendetes Schuljahr. Vieles in dieser Hinsicht geschieht ja sowieso bei Elterngesprächen. Aber manche Eltern erreicht man leichter schriftlich.



Die erste Bemerkung zu Zeugnissen in den Lehrerkonferenzen findet man in der Konferenz vom 23.12. 1919:

Es wird nach Zeugnissen gefragt:

R.St.: „Da müsste festgestellt werden, was vorgeschrieben ist. Wir können zwei Zeugnisse geben, eines in der Mitte des Jahres als Interimszeugnis und eines am Ende des Schuljahres. In diesem Zeugnis soll, soweit das die geltenden Bestimmungen zulassen, nur allgemein über die Schüler gesprochen werden. Es soll der Schüler charakterisiert werden und nur dann, wenn ein Fach besonders bemerkenswert ist, soll das erwähnt werden. Es soll alles möglichst gut zensiert werden. ... Beim Übergang in eine andere Schule muss das testiert werden, was von der betreffenden Schule verlangt wird.“ (GA 300/1, S.116)


Ein Lebensdokument


Ein Waldorfzeugnis ist ja ein wichtiges Lebensdokument. Vielleicht machen wir uns manchmal die Bedeutung dieses Dokumentes nicht ganz deutlich. Wer ein wenig Erfahrung mit dem Erstellen eines Berufszeugnisses für einen betrieblichen Mitarbeiter hat, der weiß, wie vorsichtig man im Berufsleben mit einer schriftlichen Beurteilung eines Menschen sein muss. Jede negative Formulierung ist angreifbar, denn der Mensch fühlt sich schnell in seiner Würde verletzt. Auch in unseren Kindern macht sich immer stärker das Gefühl der eigenen Ichheit bemerkbar und die Würde des Kindes ist fast so verletzlich wie die eines Erwachsensen.

Nun macht es einen eminenten Unterschied, ob ich z.B. einen Tadel mündlich äußere oder ob ich ihn schriftlich niederlege. Hat man die Sache einmal „schwarz auf weiß“ oder eben „tintenkönigsblau auf weiß“ vor sich, dann ist sie wie manifestiert. Meine vergangenen Taten werden archiviert. Man kann sie nicht mehr abschütteln. Werden sie mündlich ausgesprochen, dann bleibt eine gewisse Freiheit. Letzteres wirkt mehr in die Zukunft, gibt Chancen und Hoffnungen.

Deshalb spricht im obigen Zitat Rudolf Steiner davon, dass alles möglichst gut zensiert werden soll. Dabei ist es wichtig, dass man mit den Eltern im Kontakt steht; natürlich auch mit den Schülern. Die Schüler sollen immer wissen, wie sie stehen. Hier ist ständig ein offenes Feedback gefordert.

Generell könnte man sagen: In der schriftlichen Mitteilung ist es günstiger, wenn alles von einem positiven Licht beleuchtet wird. Die schwierigeren Dinge übermittelt man besser mündlich im Elterngespräch.

In diesem Zusammenhang ist auch der Hinweis Rudolf Steiners (s.u) zu verstehen, dass das damals übliche Zeugnisheft – die Zeugnisformulare für die kommenden Schuljahre waren wohl in einem Heft bereits vorgedruckt zusammenfasst und wurden Jahr für Jahr ausgefüllt – perforierte Seiten enthalten sollte. Warum? Das Kind sollte die Möglichkeit haben, weniger schmeichelhafte, alte Zeugnisse herauszulösen und verschwinden zu lassen.



Fachzeugnisse und Hauptunterrichtszeugnis


Zunächst finden wir im obigen Zitat die Bemerkung, dass ein Fach nur dann erwähnt werden soll, wenn es besonders bemerkenswert ist. Es war also in der Entstehungszeit der Waldorfzeugnisse noch unentschieden, wie man die Fachunterrichte aufnehmen wird.

Nun ist die Frage des Zusammenklangs der Hauptunterichts- und der Fachzeugnisse eine ganz entscheidende. Wir Waldorflehrer sind ja als „Erziehungskünstler“immer wieder aufgefordert, alle Dinge auch künstlerisch anzugehen. So bietet es sich an, auch beim Zeugnisschreiben ein wenig künstlerisch vorzugehen. So ist der Klassenlehrertext wie der Stamm eines Baumes, aus dem dann noch viele Äste sprießen, die Fachzeugnisse. Wie die Äste organisch zum Baum gehören und seiner Gestaltungskraft entsprechen, so sollten auch die Fachzeugnisse mit dem Hauptunterrichtszeugnis zusammenklingen. Ein jeder Baum hat natürlich starke und tragende Äste neben kleineren und schwächeren; so hat ein Kind stärkere oder schwächere Neigungen. Aber eine Eiche kann eigentlich keinen Birkenast hervorbringen. Wenn das im Zeugnis so erscheint, dann hat man irgendwo die Individualität des Kindes nicht erfasst oder ist nicht auf sie eingegangen. Der Choleriker bleibt z.B. immer cholerisch, im Schreiben genauso wie in der Eurythmie. Auch wenn er in dem einen Fach Unordnung hervorbringt und im anderen Großes leistet. Aber wenn jeder Lehrer nicht nur auf das Äußerliche eingeht, sondern immer auch mit Ehrfurcht und Liebe die Individualität eines Kindes ein klein wenig hindurchleuchten lassen kann, dann wachsen die Inhalte von alleine zusammen.

Steiner dachte es sich so, dass zunächst der Klassenlehrer den Haupttext schreibt, dann die Fachlehrer sich organisch anschließen.

In der Praxis ist es meistens so, dass fast alle Kollegen ihre Zeugnisse für sich zu Hause schreiben und später wird alles zusammengefügt. Ob die Dinge dann zusammenklingen, ist so eher dem Zufall überlassen. Es kann natürlich sein, dass Klassen- und Fachlehrer so häufig zusammensitzen, dass alle ein gemeinsames Bild eines jeden Schülers haben. Dann wird man das auch in den Zeugnissen spüren.

Sollte aber das Zeugnis ein einheitliches Bild des Schülers abgeben, dann ist es hilfreich, wenn zuerst der Klassenlehrer seinen Text den Fachlehrern zur Kenntnis geben kann, und diese anschließend ihr Bild des Kindes formulieren würden.





Bemerkungen in der Konferenz vom 14.6.1920:

Es wird nach den Zeugnissen gefragt.

Dr. Steiner: „Wir sprachen schon einmal darüber. Man müsste schon einzelnes hervorzuheben versuchen, aber nicht in pedantischer Weise. Man müsste versuchen, vielleicht doch am Anfang nur die Personalien zu haben, und dann für jedes Kind zu individualisieren. Dass man zum Beispiel schreibt: "E. liest gut, erzählt anregend", und so, dass man sich selbst den Text bildet. Einen Satz, der frei gegeben ist und in dem man das unterstreicht, was sonst als einzelne Fächer gegeben ist. Vielleicht ist es notwendig, alle Fächer anzuführen, vielleicht nicht. Ich würde das Zeugnis so drucken, dass es nur einen Kopf hat: "Freie Waldorfschule, Jahreszeugnis des Schülers . .“und in der Mitte Platz, dass man schreiben kann.

Jeder wird nach seinem Genius den Schüler charakterisieren. Wenn mehr Lehrer in Betracht kommen, muss jeder einschreiben. Aber es wäre wünschenswert, dass sich die einzelnen Aussagen nicht allzu stark widersprechen; wenn der eine sagt: "Er liest ausgezeichnet", der andere auch etwas sagt, was dem entspricht. Nicht wahr, es fängt einer an, den Schüler zu charakterisieren, derjenige, der sein Klassenlehrer ist. Die anderen schließen sich an. Es kann nicht gut der Klassenlehrer schreiben: "Es ist ein ausgezeichneter Junge", und dann schreibt jemand anderes: "Das ist ein kleines Scheusal." Das muss man schon verschmelzen. .....


X.: Ist eine Kontrolle nötig, dass die Zeugnisse vorgezeigt werden?

Dr. Steiner: „Ich würde einfach die Einführung machen, dass die Eltern, welche wünschen, dass ihre Kinder wieder aufgenommen werden sollen, ihren Namen unter das Zeugnis des vorigen Jahres setzen mögen. Wenn sie nicht mehr kommen, brauchen wir darüber keine Vorschrift zu machen. Wenn sie wiederkommen wollen, sollen die Eltern den Namen daruntersetzen. Es ist ja gegangen ohne Zwischenzeugnis. Ist das verlangt worden von den Eltern, ein Zwischenzeugnis?

Ja, das Kind meldet sich und bringt das Zeugnis, bekommt es am Ende des Jahres wieder, wenn es schon ein Heft ist. Gewiss kann es ein Heft sein, perforiert. Nehmen Sie an, ein Kind ist anfangs schlecht, man muss ihm Tadel hineinschreiben, und es wird dann später besser, dann hat es vielleicht ein Interesse daran, die vorhergehenden Zeugnisse wegzunehmen: also perforiert.

Da kann man ja etwas, was nicht ganz lobend ist, schreiben. Sie können nicht diesen beiden Kindern das Zeugnis ausstellen, dass sie ausgezeichnet schreiben, aber man kann es schon so fassen, indem man, ohne zu zensieren, charakterisiert, wie weit das Kind im Schreiben ist. Bei dieser kleinen M., da würde ich schreiben: "Hat es noch nicht weiter gebracht, als zum mühsamen Nachschreiben einfacher Worte, wobei das Kind sehr häufig unnötige Striche an die Buchstaben anfügt." Die Kinder charakterisieren!“ (GA 300/1, S.147 f)



Tadelnde Äußerungen


Es kann vorkommen, dass man in einem Zeugnis liest, dass das Kind eine schlechte Schrift habe und sein Epochenheft nicht schön führt. Solches schreibt der Klassenlehrer. Bei den Fremdsprachen finden sich dann ähnliche Formulierungen. Ein Jahr später wiederholen sich diese Bemerkungen. Und so geht es Jahr für Jahr weiter.

Vielleicht meinen die Lehrer des Kindes, dass es wichtig sei, den Eltern dies immer wieder mitzuteilen, und erhoffen sich wohl auch Hilfe oder Einflussnahme auf das Kind.

Man verkennt dabei die Möglichkeiten der Eltern wirklich entscheidend in dieser Angelegenheit auf ihre Kinder einzuwirken. Eltern können dafür sorgen, dass das Kind lernt, sein Zimmer ordentlich aufzuräumen, aber Epochenheftführung und Schriftbild sind eher schulische Übungsfelder.

Die Folge immer wiederkehrender negativer Formulierungen in den Zeugnissen ist gelegentlich, dass sich die Eltern über die Kinder ärgern, ohne das Problem angehen zu können. Sie schimpfen oder tadeln und natürlich hat das wenig positive Wirkung auf die kindlichen Fähigkeiten.

In einer nächsten Stufe stumpfen manche Eltern gegen solche Bemerkungen ab und lesen darüber hinweg.

Und in einer weiteren Stufen beginnen sie sich über die Lehrerschaft zu ärgern, dass sie nicht in der Lage ist, dem Kind die Fertigkeiten beizubringen, die sie von dem Kind erwartet. Daher kann es sinnvoll sein, sich zu überlegen, wie stark und wie oft man tadelnde Äußerungen in Zeugnissen formuliert. Wirkungsvoller könnte es sein, in einem Zeugnis die Sache einmal humorvoll zu charakterisieren.




Konferenz vom 26.5.1921

Dr.Steiner: „...Nun möchte ich Sie fragen, ob wir die Zeugnisse wieder so ausstellen wie im vorigen Jahr. Es ist eine gute Art Zeugnisse so auszustellen. Genau so, wie im vorigen Jahr.

X.: Wir haben sie optimistisch gehalten.

Dr. Steiner: Es handelt sich darum, dass man die Sätze richtig fasst. Wenn man nicht gut individualisiert, was schwierig ist, dann wird man, wenn man die Sätze zu streng formuliert, sehr viele zurückstoßen. Es würde sich schon darum handeln, wenn jemand ein großer Nichtsnutz ist, dass man schreibt, es wäre dringend zu wünschen, dass er im nächsten Jahr sich zusammennähme. In der Formulierung würde manches liegen. Auch Mängel positiv ausdrücken aber in bezug auf die Formulierung streng sein.

Da sind wir einig, dass wir die Zeugnisse ausstellen wie im vorigen Jahr. Ein möglichst treues Bild. Unten wiederum für jedes Kind einen Spruch ins Zeugnis, der für die Individualität des Kindes richtunggebend sein kann, als Leitmotiv für die Zukunft. Nun würde ich doch gerne haben, da das Kind dieses Zeugnis behält, dass auf jedem Zeugnis alle Lehrer unterschreiben, die tätig waren an dem Kinde. Gerne würde ich haben wollen, dass jedes Kind alle Unterschriften hat. Es ist nicht unbedeutend, dass die Kinder alle Unterschriften haben von den Lehrern, die an dem Kinde gearbeitet haben. Es soll der Name des Klassenlehrers daraufstehen und dabei auch stehen "Klassenlehrer“ so dass das Kind weiß: zu dem gehört es; und die anderen stehen darunter. Es wäre gut, wenn der Lehrer selbst den Text schreibt, der Klassenlehrer den längsten, und jeder andere Lehrer eine kurze Bemerkung. GA 300/1, S.284 f)




Sachlich charakterisieren und bildhaft beschreiben


Besonders gerne werden von Eltern Zeugnisse aufgenommen, in denen es der Klassenlehrerin oder dem Klassenlehrer gelingt, das Kind im Rahmen eines Bildes zu charakterisieren: „Wie ein Wanderer, der aus unbekannten Gegenden seltene Edelsteine mitgebracht hat, so erscheint er. Die kostbarsten Steine hält er noch verborgen, um sie erst auszubreiten, wenn es an der Zeit ist. ...Glockenklar und kräftig erklingt die Stimme beim Rezitieren, wie ein reiner Kristall.... Manche Steine müssen natürlich noch poliert und bearbeitet werden. Diesen Eindruck hat man, wenn man in das Heft der letzten Schreibepoche blickt. Immer wieder rutschen die Buchstaben unter die Zeilenlinie herunter. Manchmal hat man gar Angst, sie könnten aus dem Heft purzeln...“

Man mag diese Schilderung für verbesserungsfähig halten. Aber dem Leser hilft das rote Band des Bildes, das hier verwendet wurde, die Dinge im Gedächtnis zu behalten und das Kind zu verstehen. Es hat etwas Liebevolles und bleibt doch immer sachlich, auch bei den Dingen, die noch zu verbessern sind. Hinzukommt noch der ganz leise Humor, der sich in der Schilderung ausdrückt.

Es wird nicht geschrieben, dass die Schrift nicht gut sei, sondern es wird wertungsfrei beschrieben, was an der Schrift tatsächlich zu beobachten ist.

Dies ist überhaupt der grundsätzliche Schlüssel für die Zeugnis-Charakterisierungen: Die sachliche Beschreibung der Wahrnehmungen. Die Bewertung der Dinge können dann ganz in den Hintergrund treten: „Er liegt meist mit dem Oberkörper auf dem Tisch und die Füße baumeln hinten über die Stuhllehne...“ , statt: „Er sitzt nie ordentlich auf seinem Stuhl.“


Konferenz vom 2.6.1924

Eine Frage wegen der Zeugnisse.

Dr. Steiner: Über Zeugnisse ist nicht gar so viel zu sagen. Wie wir das erste Schuljahr hatten in der Waldorfschule, war es so, dass die Zeugnisse wirklich reizend waren. Es war neu, einmal nicht mit Noten, sondern mit eigener Ausführung die Schüler zu bewerten. Von vielen Seiten wurde das als ungeheuer wohltätig empfunden. Die Sätze sind mit ungeheurer Liebe formuliert. Wenn Sie diese Zeugnisse heute vornehmen, sie sind aus Liebe formuliert.


Als ich aus Anlass der einen Beschwerde die Zeugnisse anschaute fand ich, dass nach und nach die Sache so gekommen ist, dass für eine große Zahl der Lehrer die Zeugnisse ebenso eine solche Last geworden sind, wie draußen in den Schulen, dass man froh ist, wenn man das hinschreibt. Es ist so, dass man sieht, dass keine Liebe mehr darauf verwendet ist. In der trockensten Prosa sind die Dinge formuliert worden. Da ist es schon besser, wir führen 4, 3, 2, 1 ein. Wir müssen mehr Sorgfalt darauf verwenden, in die Formulierung mehr Phantasie hineinzulegen. Mehr Fleiß und Liebe sind anzuwenden, sonst artet es aus, so dass jemand zum Beispiel schreibt: "Kann zwar noch nichts, wird aber schließlich besser gehen“, „benimmt sich ziemlich mangelhaft", und so weiter. Das hat keinen Sinn mehr, ich habe ja nichts dagegen; wenn es als eine zu große Last empfunden wird, so müssen wir in den sauren Apfel beißen und schulmäßige Zeugnisse ausstellen. Das wäre aber schade. Wenn offenbar in den letzten acht Tagen irgendetwas hingeschrieben wird, das dürfte sich nicht einstellen. Es lassen sich nicht Regeln angeben, sonst müsste für jeden Schüler eine besondere Regel da sein. ...


R.St.: „...Man schreibt doch das Zeugnis für diejenigen, welche über das Kind etwas erfahren sollen. Dem Kinde kann man auf viel direktere Art im Laufe des Jahres das mitteilen, was man ihm zu sagen hat. Das Zeugnis sollen die anderen lesen! Dies Zeugnis gibt keine Vorstellung davon, dass der Junge doch das wichtigste Jahr seines Lebens verlebt hat, dass er am Ende des Jahres anders dastand als vorher. Was die positiven Dinge sind, das geht nicht daraus hervor. Um ein solches Zeugnis zu bekommen, hätten wir ihn nicht auf die Waldorfschule bringen müssen. Gewiss kann man sich aufs Schulmeisterross setzen. Wir sollen doch weltmännisch sein.

Die Zeugnisse müssen mit mehr Liebe verfasst werden. Sie sind nicht mit Liebe verfasst. Auf die Schülerindividualität muss man mit mehr Liebe hinsehen. Selbst äußerlich ist dieses Zeugnis schlampig. So etwas schaut schlecht aus. Ein Zeugnis sollte übersichtlich und sauber aussehen. Es wird Kinder geben, wo man veranlasst ist, über die innere Entwickelung zu schreiben. Wenn unsere Einrichtungen so versagen, wäre es besser, wir machen nichts Riskantes. ich fürchte, es wird noch schlimmer werden, weil doch die Sorgfalt für eine solche Individualität nicht da ist. (GA 300/3, S. S.167-9)



Diese Äußerungen Steiners sind sehr deutlich und bewegend. Hilfreich für uns Lehrer ist doch immer dieser Gedanke, dass das Kind mit jedem Schuljahr das wichtigste Jahr seines Lebens in der Schule verbringt oder verbracht hat. Es ist gut, wenn im Zeugnis deutlich wird, wie es sich von Schuljahr zu Schuljahr insgesamt weiterentwickelt hat. Wenn das nicht zu spüren ist, dann muss die Frage entstehen, was die Lehrerschaft ein ganzes Jahr lang für das Kind unternommen hat.


Praktische Vorgehensweise


Besonders hilfreich ist es, wenn man sich während des ganzen Schuljahres immer wieder bei der Nachbereitung am Nachmittag Notizen zu einzelnen Kindern macht. Dabei sind vor allem die Beobachtungen im alltäglichen Unterricht wichtig, wo man gewissermaßen das individuelle Wesen des Kindes wie an einem Zipfel zu fassen bekommt. Man lässt z.B. Kinder in irgendeiner Jahrgangsstufe im Unterricht zur Tafel kommen und eine Aufgabe vorrechnen. Dann hat man in der Art und Weise, wie ein Kind zur Tafel kommt, ob es zögerlich oder zügig aufsteht, ob es fest auftritt oder tänzelt, wie es die Kreide anfasst, wie es den Strich beim Schreiben führt, wie es die Aufgabe löst usw. das ganze Wesen des Kindes ausgebreitet.

Man kann sich diese Dinge meist nur von wenigen Kindern merken, nur bei einigen ist dieser Vorgang auch sehr ausdrucksstark. Bei anderen kann es sein, dass man beim Malen oder im Turnen einen besonderen Eindruck hat. Aber man mache sich am Nachmittag zu einer solchen Offenbarung gleich einige Notizen.

Aus ihnen kann man später mühelos ein gutes Zeugnis entwickeln. In der konkreten, lebendigen Schilderung eines einzigen Vorganges, charakterisiert man gleichzeitig das allgemeine Verhalten des Kindes, seinen Bewegungsduktus, seine Schrift und seine Rechenkenntnisse. Man das dann weiterentwickeln, indem man anknüpft und erwähnt, dass das Kind, so wie es in dem geschilderten Fall an der Tafel geschrieben hat, auch seine Epochenhefte geführt hat. Dass es mit der gleichen Kraft, die im Auftreten seiner Füße lag, Formenzeichnen oder Geometrie betrieben hat. Von einer zentralen Schilderung aus kann man dann nach allen Seiten die anderen Dinge herauswachsen lassen. Es ist gut wenn alles im Zusammenhang steht, denn dann hat man etwas vom Wesen des Kindes erfasst und gibt es an die Eltern weiter. Diese Vorgehensweise hat auch immer etwas Künstlerisches. Und jedes Kind, jeder Mensch ist in Wahrheit ein Kunstwerk und alles bei ihm steht in einem Zusammenhang.

Bei dieser Vorgehensweise braucht man nicht auf alle einzelnen Hauptunterrichtsepochen ausführlicher einzugehen, sondern man kann dann mit ganz knappen Worten anfügen, dass das Kind in ähnlicher Weise auch in den anderen Epochen mitgearbeitet hat. Es kann reichen, die restlichen Epochen in jeweils einem Satz zusammenzufassen.

Bei einem Baum wird man auch nicht jedes einzelne Blatt beschreiben, um ein anschauliches Bild zu vermitteln, sondern mit der Schilderung eines einzigen Blattes hat man schon den Typus erfasst, die anderen Blätter sind dann nur die Variationen des Typus.

Diese Art des Zeugnisschreibens könnte man als eine goetheanistische bezeichnen. In einzelnen Phänomenen drückt sich gewissermaßen das ganze Wesen aus. Die Frage ist nur, einen Ansatzpunkt zu finden. Manchmal braucht es dafür auch eine Eingebung. Es ist das, was Rudolf Steiner andeutet,dass uns Rätsel über Rätsel vor das seelische Auge tritt“. Vor dem Zeugnisschreiben, stehen wir wie vor zwei bis drei Dutzend ungelösten Rätseln. Aber wenn man um die Lösung ringt, dann kommt man innerlich ganz nah an die Kinder heran. Lässt man sich auf diesen zunächst riskanten Prozess ein, dann wird man bei jedem Zeugnisschreiben ein wenig diese Rätsel lösen. Und das ist beglückend. So hört man eben auch von Waldorflehrern, wie sie sich über das Zeugnisschreiben freuen und wie sie hinterher reicher dastehen als vorher.


Dieter Centmayer