Dienstag, 10. Juni 2008

ADHS: Mancher bleibt ein Leben lang Zappelphilipp

Bitte unbedingt auch den allerletzten Absatz lesen!
----

ADHS: Mancher bleibt ein Leben lang Zappelphilipp - Nachrichten Wissenschaft - Medizin - WELT ONLINE

3. Juni 2008
Von Lajos Schöne



Vier bis fünf Prozent aller Kinder leiden am Hyperkinetischen Syndrom, auch ADHS genannt: Sie kaspern und zappeln, sind unkonzentriert, überdreht und flippen schon bei Kleinigkeiten aus. Bei jedem dritten Kind wächst sich das Syndrom nicht aus – Hyperaktive Erwachsene sind oft chaotisch, launisch und sprunghaft.


Hoffmann,Zappel-Philipp
Foto: pa


Jeder dritte Zappelphilipp bleibt ein Zappelphilipp.
Die Hoffnung, das Problem werde sich mit der Zeit schon geben, geht leider nicht immer in Erfüllung. Ein bis zwei Drittel der Betroffenen haben auch noch als Erwachsene mit ADHS zu kämpfen. Sie entwickeln sich zu zerstreuten, sprunghaften und launischen Chaoten.


Im Erwachsenenalter liegt häufig eine Kombination aus Konzentrationsschwäche und gestörter Aufmerksamkeit und Impulsivität vor, berichten die Freiburger Psychiater Alexandra Philipsen, Bernd Heßlinger und Professor Ludger Tebartz van Elst im „Deutschen Ärzteblatt". Dabei seien verschiedene Schweregrade möglich: „Die Störung kann gering ausgeprägt sein und erscheint dann eventuell nur als Variante ‚normaler' Persönlichkeitsmerkmale. Sie kann aber auch zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Lebensführung führen. Man findet bei ADHS deutlich erhöhte Raten für frühe ungeplante Schwangerschaften, Geschlechtskrankheiten, Verkehrsunfälle, Scheidungen, niedrigere Bildungsabschlüsse, häufige Arbeitsplatzwechsel und Arbeitslosigkeit."


Noch in den 90er-Jahren wurde ADHS als eine Störung bei Kindern und Jugendlichen angesehen. Mittlerweile werden an mehreren universitären Spezialambulanzen betroffene Erwachsene untersucht.
Die mangelhafte Kontrolle seiner Affekte macht dem erwachsenen Zappelphilipp in Beruf und Partnerschaft oft schwer zu schaffen. In den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) zur Diagnose und Behandlung der ADHS im Erwachsenenalter heißt es dazu: „Der Patient (und sein Partner) berichten von andauernder Reizbarkeit, auch aus geringem Anlass, verminderter Frustrationstoleranz und Wutausbrüchen. Gewöhnlich sind die Wutanfälle nur von kurzer Dauer. Eine typische Situation ist die erhöhte Reizbarkeit im Straßenverkehr im Umgang mit anderen Verkehrsteilnehmern. Die mangelhafte Affektkontrolle wirkt sich nachteilig auf Beziehungen zu Mitmenschen aus."
Die Patienten sind an ihrer motorischen Unruhe zu erkennen: Sie trommeln mit den Fingern oder wippen mit den Füßen, laufen nicht langsam, sondern eher schnell. Sie fühlen sich unwohl, wenn sie längere Zeit ruhig sitzen sollen. Häufig haben sie eine schwer lesbare, unter Zeitdruck zunehmend undeutlicher werdende Schrift.


Als sehr störend empfinden es Mitmenschen, dass die Patienten ständig in Gespräche reinplatzen und dazwischenreden. Viele Zappelphilippe können auch als Erwachsene nicht lange bei einer Sache bleiben. Wegen ihrer gestörten Konzentration lesen sie kaum Bücher und überfliegen in der Zeitung oft nur die Überschriften. Sie sind vergesslich und mit ihren Gedanken scheinbar ständig woanders. Typisch ist das häufige Liegenlassen von Gegenständen und Vergessen von Aufträgen. Der erwachsene Zappelphilipp neigt zu ausgeprägter Unordnung und Chaos am Arbeitsplatz und im Haushalt.
Zur Behandlung der erwachsenen ADHS-Patienten empfehlen die Leitlinien der Psychiater eine Kombination aus Medikamenten und Psychotherapie. Dank einer Psychtherapie können die Patienten eine Struktur in ihr Leben bringen. Als Arzneien kommen für sie sogenannte Stimulanzien infrage.
„Medikament der ersten Wahl ist nach den deutschsprachigen Leitlinien Methylphenidat", schreiben die Freiburger Forscher. „Nach den vorliegenden Metaanalysen ist die Wirksamkeit von Methylphenidat als sehr gut zu bewerten." Allerdings muss es immer genommen werden – nach dem Absetzen treten die Symptome meist wieder auf. . . .


Viele erwachsene Zappelphilippe haben eines gemein: Wenn etwas sie besonders interessiert, können sie sich regelrecht „zusammenreißen“ und sich diesem Problem äußerst intensiv und anhaltend widmen („Hyperfokussierung“). Ihre oft hohe Kreativität befähigt die zerstreuten Chaoten in manchen Berufen zu großen Leistungen. Viele Erwachsene mit ADHS arbeiten als Manager, Vertreter, Verkäufer, Politiker, Moderatoren, Entertainer, Künstler, Wissenschaftler und Erfinder. Mozart soll ebenso ein später Zappelphilipp gewesen sein wie Albert Einstein oder Salvador Dali. US-Psychologen vermuten, dass auch Ex-Präsident Bill Clinton ein erwachsener Zappelphilipp ist.



ADHS: Mancher bleibt ein Leben lang Zappelphilipp - Nachrichten Wissenschaft - Medizin - WELT ONLINE