"Es ist interessant, dass es wenig eindeutigere Stellen bei Rudolf Steiner gibt als die, wo er über Hausaufgaben gesprochen hat, und er hat davon abgeraten, Es ist aber trotzdem so, dass gerade die Lehrer, die Steiner so gerne zitieren, wenn es um den Entwurf für Briefpapier für die Schule geht, an Gedächtnisschwund zu leiden scheinen, wenn sie versuchen, die vielen Hausaufgaben für ihre Schüler zu rechtfertigen.
Der Hauptbeweggrund der Waldorflehrer, die Hausaufgaben geben, ist das Zufriedenstellen der Eltern. Die Eltern hatten selber in der Regel eine konventionelle Schulbildung und, obwohl ihre Herzen der Waldorfmethode sehr verbunden sind, werden ihre Köpfe immer noch stark von ihren eigenen Schulerlebnissen beeinflusst. Wenn die Flitterwochen von Kindergarten und Klassen eins bis vier vorbei sind, dann werden sie unruhig, und sehnen sich nach der bequemen, bekannten "Sicherheitsdecke," zusammengeflickt aus Hausaufgaben, Prüfungen und Noten.
Es ist wie bei der Pünktlichkeit: wenn das Kollegium sich darüber einig wäre, Rudolf Steiners Vorschläge zu befolgen und keine Hausaufgaben zu geben, wären die Eltern im großen und ganzen einverstanden. Aber Waldorflehrer haben oft auch eine konventionelle, vielfach intellektuelle Bildung. Wenn sie im Stoff der höheren Klassen unsicher werden, dann greifen sie nach der gleichen Sicherheitsdecke!
Dann ist die Hausaufgabe eine Art Treffpunkt für Eltern und Lehrer?
Ein Treffpunkt, den man erreicht, indem man den Pfad des geringsten Widerstandes einschlägt! Es ist die Antwort des faulen Mannes auf die pädagogischen Bedürfnisse der älteren Schüler."
Quelle: Eugene Schwartz, Überlebenshandbuch für Waldorflehrer – Maroverlag 2006