Donnerstag, 12. Juni 2008

Säuglinge können an Gesichtern die Gefühle ablesen

wissenschaft.de - Eingebautes Alarmsystem


11.06.2008 - Psychologie

Eingebautes Alarmsystem


Schon mit drei Monaten können Babys Furcht in Gesichtern erkennen und auch deren Ursache ausmachen

Furcht im Blick eines Erwachsenen lenkt schon bei Kindern im Alter von drei Monaten die Aufmerksamkeit auf den Gegenstand, den ihr Gegenüber fixiert: Er löst im Gehirn der Kleinen eine viel stärkere Reaktion aus als ein Objekt, das zuvor mit einem neutralen Gesichtsausdruck angeschaut wurde, haben Forscher aus Leipzig und New York nachgewiesen. Damit nutzen Kinder schon sehr viel früher als angenommen sogenannte soziale Referenzen – Hinweise und Signale, die aus dem Verhalten anderer Menschen abgeleitet werden. Bisher hatten Forscher vermutet, diese Fähigkeit entwickle sich nicht vor dem Ende des ersten Lebensjahres.



Normalerweise, schreiben die Wissenschaftler, werden Studien mit kleinen Kindern auf Basis von deren Verhalten ausgewertet. Unerwartetes quittieren die Kleinen beispielsweise damit, dass sie es länger anschauen als etwas, an das sie bereits gewöhnt sind. Dazu ist es jedoch nötig, dass die Kinder sich koordiniert bewegen können – und dazu sind sehr junge Säuglinge noch nicht in der Lage. Aus diesem Grund entschieden sich Höhl und ihre Kollegen für einen anderen Ansatz: Sie maßen mit Hilfe von Elektroden die Hirnströme ihrer jungen Probanden und werteten anschließend aus, wie ausgeprägt bestimmte Signale in den verschiedenen Studiensituationen waren.

Auf einem Monitor wurde den Kindern dazu zum Beispiel ein Gesicht gezeigt, dessen Blick auf einen ihnen unbekannten Gegenstand gerichtet war. In einem Teil der Tests trug das Gesicht dabei einen angstvollen Ausdruck, während es in anderen Versuchen eine völlig neutrale Miene zeigte. Anschließend erschienen nur die zuvor gesehenen Gegenstände ohne das Gesicht auf dem Display. In den Hirnstrommessungen fand sich der Unterschied zwischen diesen beiden Situationen eindeutig wieder, entdeckten die Forscher. Vor allem in der rechten Hirnhälfte folgten dem furchtsamen Blick sehr viel ausgeprägtere Signale als dem neutralen – die Kinder richteten ihre Aufmerksamkeit also deutlich mehr auf den angstvoll betrachteten Gegenstand als auf den anderen.

Die Kleinen können demnach bereits emotionale Gesichtsausdrücke wahrnehmen, sie interpretieren und zudem nur auf Basis der Blickrichtung eine Verbindung dieser Emotionen mit Objekten herstellen, schließen die Forscher. Im Gehirn ist dafür wohl hauptsächlich die Amygdala verantwortlich, die auch bei Erwachsenen für das Registrieren und die Interpretation von emotionalen Signalen sowie die Kontrolle der Aufmerksamkeit zuständig ist. Aus Sicht der Evolution betrachtet sei es sinnvoll, dass diese Fähigkeit schon so früh angelegt ist – schließlich sei das Erkennen einer Bedrohung überlebenswichtig. Die Wissenschaftler wollen nun testen, ob auch andere Emotionen als Angst solche Reaktionen bei den Kleinen hervorrufen.


Stefanie Höhl (Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig) et al.: PLoS ONE, Bd. 3, Artikel e2389

ddp/wissenschaft.de – Ilka Lehnen-Beyel