Sonntag, 31. Mai 2009

Regeln einhalten

In unserer Zeit der Entwicklung der Bewusstseinsseele ist das Zusammenleben als soziale Gemeinschaft völlig neu zu betrachten und zu gestalten.

Hat sich eine Gemeinschaft eine Regel gegeben: z.B. alle Kollegen sollen zu bestimmten Zeiten ihre Pausenaufsichts-Pflicht wahrnehmen, dann stellt sich die Frage, was bedeutet es, wenn Individualitäten diese Regel nicht einhalten.

Von einem gewissen Standpunkt aus betrachtet, kann man sagen, dass eine Regel außer Kraft gesetzt wird, wenn sie nicht eingehalten wird und diese Nichteinhaltung keine echte Konsequenz hat - wie auch immer diese definiert wird.

Auf jeden Fall muss man konstatieren, dass mit dreimaligem, folgenlosem Bruch einer Regel durch eine Person die Regel in einer sozialen Gemeinschaft keine Gültigkeit mehr hat.

Die Rechtsprechung ist in dieser Hinsicht viel weiter fortgeschritten als das Bewusstsein vieler Menschen.

Aus Tradition heraus folgt gewöhnlich noch ein gewisser Teil der Mitglieder einer Gemeinschaft weiterhin den einmal verabredeten Regeln, aber der Keim zur Unzufriedenheit, zu mangelnder Funktionsfähigkeit der Gemeinschaft ist längst gelegt. Der Keim wird zu wachsen beginnen und viele weitere Probleme aus sich herauswachsen lassen.

Wenn es Teil einer Schulordnung ist, dass Kinder nicht auf Bäume klettern dürfen und es geht ein Erwachsener vorbei und übersieht die kletternden Kinder, dann sagen die Kinder zu dem nächsten Erwachsenen, der vorbei kommt und sie ermahnt herunter zu kommen: "Derjenige Erwachsene, der vorher vorbei gekommen war, der habe ihnen erlaubt (!), auf den Baum zu klettern."

Taten und auch Nichttaten sind in einer freien Gemeinschaft heute sozial wirkende Realitäten.

Mittwoch, 27. Mai 2009

Friedrich Schiller, Geschichte des dreißigjährigen Kriegs

In der 8. Klasse etwa soll man einer Anregung Steiners folgend mit den Schülern Friedrich Schillers "Geschichte des dreißigjährigen Kriegs" lesen.

Eine kleine Leseprobe:

Zweiter Theil. - Drittes Buch.

"...Er ( Gustav Adolph) hatte sich jetzt mit dem größten Heerführer seiner Zeit gemessen, er hatte die Kraft seiner Taktik und den Muth seiner Schweden an dem Kern der kaiserlichen Truppen, den geübtesten Europens, versucht und in diesem Wettkampf überwunden. Von diesem Augenblick an schöpfte er eine feste Zuversicht zu sich selbst, und Zuversicht ist die Mutter großer Thaten. Man bemerkt fortan in allen Kriegsunternehmungen des schwedischen Königs einen kühnern und sicherern Schritt, mehr Entschlossenheit auch in den mißlichsten Lagen, mehr trotzige Verhöhnung der Gefahr, eine stolzere Sprache gegen seinen Feind, mehr Selbstgefühl gegen seine Bundesgenossen und in seiner Milde selbst mehr die Herablassung des Gebieters. Seinem natürlichen Muth kam der andächtige Schwung seiner Einbildung zu Hilfe; gern verwechselte er seine Sache mit der Sache des Himmels, erblickte in Tillys Niederlage ein entscheidendes Urtheil Gottes zum Nachtheil seiner Gegner, in sich selbst aber ein Werkzeug der göttlichen Rache. Seine Krone, seinen vaterländischen Boden weit hinter sich, drang er jetzt auf den Flügeln des Siegs in das Innere von Deutschland, das seit Jahrhunderten keinen auswärtigen Eroberer in seinem Schooße gesehen hatte."

Welch ein charakteristischer Stil! Wie fühlt man in jeder Zeile Schillers Wesen hindurch! Es lohnt sich wirklich, einige Auszüge mit den Schülern zu behandeln.

Sonntag, 24. Mai 2009

Jakob Streit und die Literatur

Am 15.Mai 2009 verstarb Jakob Streit, der wohl bekannteste und fleißigste Bücherschreiber im waldorfpädagogischen Bereich. Seine Bücher sind sogar weit über den Bereich der Waldorfschulen hinaus bekannt und anerkannt. Möglicherweise ist er sogar der beliebsteste Autor aus anthroposophischem Verlag überhaupt.

Angesichts seines umfangreichen Schaffens und auch des Schaffens vieler anderer Autorinnen und Autoren ähnlicher Herkunft stellt sich die Frage nach der Qualität solcher Bücher.

Erzählende Literatur ist Kunst oder soll es sein. Im künstlerischen Prozess gestalten sich die Werke nach einem eigenen inneren geistigen Prinzip. Hilde Domin war ganz ärgerlich als sie gefragt wurde, wie sie denn Gedichte schriebe. Sinngemäß antwortete sie, dass man diese Frage überhaupt nicht beantworten könne, sie sei eigentlich zu dumm - die Frage. Man schreibt Gedichte einfach.

Kunst hängt mit dem Gefühl zusammen. Nicht primär mit Denken oder Wollen. Man kann die großartigsten Gedanken haben und kann sie vielleicht doch nicht künstlerisch zum Ausdruck bringen. Man kann auch etwas schreiben wollen und es geht doch nicht, weil die Inspiration nicht da ist. Diese Erfahrung macht fast jeder Künstler. Man kann auch ein furchtbar fleißiger Schreiber sein und unendlich viele Bücher schreiben, aber auch das ist keine Gewähr für gute Literatur.

Die Inhalte und Sprachbilder eines Buches müssen sich stimmig aneinanderfügen und aufeinander beziehen. Dafür braucht man eine gewisse Empfindungsfähigkeit.

Bei mancher Literatur paart sich nun das Einseitige des Gedanklichen mit dem Fleiß des Schreibenwollens. Das Gedankliche dominiert, wenn man in einem Buch irgendeine Form von Absicht bemerkt: Jetzt schreibt er dieses oder jenes, um z.B. einem Kind eine moralische Belehrung zu erteilen. Oder jetzt will sie eine gute Geisteswissenschaftlerin sein und lässt an dieser oder jener Stelle einen Engel oder ein Elementarwesen auftreten. Da spürt man, dass es gedanklich gewollt ist.

Waldorflehrer sollen ja selber Geschichten erfinden und den Kindern erzählen. In der vertrauten Intimität der eigenen Klasse sind solche Erzählungen Gold wert und stark wirksam. Das Geheimnis liegt dabei besonders auf der Ebene der Imponderabilien: Schon durch die Vorbereitung, die Bemühung, die der Lehrer aufbringt, um seine Geschichte zu erfinden, beginnt er auf die Seelen der Kinder positiv einzuwirken. Am nächsten Tag trägt er mit der Geschichte eine ungeheure Seelenfülle in die Klasse.

Niedergeschrieben verlieren diese Geschichten schon vieles von ihrer Qualität; und gar gedruckt können sie völlig ihren Geist verloren haben.

Alle Gedanken müssen für eine Erzählung solange künstlerisch umgeschmolzen werden, bis sie fast nicht mehr wiederzuerkennen sind. Dann kann daraus Literatur entstehen. Der Stein, dem man in erster Linie noch ansieht, dass er einem Steinbruch entnommen wurde, der ist noch nicht zur Plastik geworden.

Donnerstag, 21. Mai 2009

"veraldar-vefurinn" die „Weltverflechtung“

... Ist das nicht ein wunderbarer Ausdruck für "Internet"? Das Isländische hat sich noch eine außerordentliche Bildekraft und Fantasie erhalten, wie sie früher wohl auch noch in vielen anderen Sprachen wirkte und schaffte, die heute eher alt und hart geworden erscheinen.

Formen- und Klangreichtum zeichnen eine junge, lebendige Sprache aus. Sie mag dann wohl für Fremde nicht so leicht zu erlernen sein, aber die Sprache selbst wird zum Erlebnis.

Es folgen einige Auszüge aus einem Artikel von Sebastian Balzter am 13.5.2009 in der FAZ.

"... auf Island ...Kinder werden ... nach ihrem Vater benannt, jede Generation aufs Neue. Was Laien verwirrt, lässt Namenforscher frohlocken: eine Sensation, ein Relikt aus tiefen Schichten der Sprachgeschichte. Auf nach Island!

Das Isländische hat sich – anders als die skandinavischen Schwestersprachen – seine komplizierte Grammatik mit einem voll ausgebildeten Deklinations- und Flexionssystem erhalten, seinen Vokalreichtum auch.

... (Man findet) konsequent einheimische Begriffe: Aus Telefon wird sími („Draht“), aus dem Internet veraldarvefurinn („Weltverflechtung“). So klingt auch das moderne Isländische noch nach den Wikingern, nach altnordischer Sagaliteratur und Charakterköpfen wie Egil Skallagrímsson, einem blutrünstigen und poetischen Helden aus dem rauhen zehnten Jahrhundert.

Skalla-Grímr („Glatzen-Grímr“) war sein Vater. Egil setzte diesen Vornamen, im Genitiv und mit der Endung -son, hinter seinen eigenen Vornamen. Folgerichtig hießen seine eigenen Söhne dann Böðvar, Gunnar und Þorsteinn Egilsson, seine Töchter aber Þorgerðr und Bera Egilsdóttir – die Endung -dóttir signalisiert das weibliche Geschlecht. So funktioniert Patronymik, das „Vaternamensystem“, das es früher auch anderswo gab, etwa in Schottland mit der Vorsilbe „Mac“. Und jede Familie Petersen aus Norddeutschland kann auf einen Ahnen namens Peter schwören. Auf Island aber hat sich der Insellage und der geringen Einwohnerzahl wegen seit Egils Tagen nichts daran geändert. ..."

Samstag, 16. Mai 2009

Relief "Eros und Fabel" - 8.Bildtafel

Fabel verließ nun das unterirdische Reich, und stieg fröhlich zu Arcturs Palaste.

.. Die Asche meiner Pflegemutter muß ich sammeln, .....

Fabel reichte die Urne, worin die Asche gesammelt war, der heiligen Sophie, die sie zärtlich umarmte.

Liebliches Kind‹, sagte sie, ›dein Eifer und deine Treue haben dir einen Platz unter den ewigen Sternen erworben. Du hast das Unsterbliche in dir gewählt. ... Du wirst die Seele unsers Lebens sein. Jetzt wecke den Bräutigam (Eros) auf. Der Herold ruft, und Eros soll Freya suchen und aufwecken.‹

...Sie ergriff nun die Urne und schüttete die Asche in die Schale auf dem Altar. Ein sanftes Brausen verkündigte die Auflösung, und ein leiser Wind wehte in den Gewändern und Locken der Umstehenden.

Sophie reichte die Schale dem Eros und dieser den andern. Alle kosteten den göttlichen Trank, und vernahmen die freundliche Begrüßung der Mutter in ihrem Innern, mit unsäglicher Freude. Sie war jedem gegenwärtig, und ihre geheimnisvolle Anwesenheit schien alle zu verklären.

Sie goß in den Altar den Rest aus der Schale hinunter. Die Erde bebte in ihren Tiefen. Sophie sagte: ›Eros, eile mit deiner Schwester zu deiner Geliebten. Bald seht ihr mich wieder.‹


Es war ein mächtiger Frühling über die Erde verbreitet. Alles hob und regte sich. ... Die Königsburg strahlte mit herrlichem Glanze über das Meer, und auf ihren Zinnen stand der König in voller Pracht mit seinem Gefolge. ...

Die Blumen und Bäume wuchsen und grünten mit Macht. Alles schien beseelt. ... Die Tiere nahten sich mit freundlichen Grüßen den erwachten Menschen. Kein Stein lag mehr auf einer Menschenbrust, und alle Lasten waren in sich selbst zu einem festen Fußboden zusammengesunken. Sie kamen an das Meer. Ein Fahrzeug von geschliffenem Stahl lag am Ufer festgebunden. Sie traten hinein und lösten das Tau. Die Spitze richtete sich nach Norden, und das Fahrzeug durchschnitt, wie im Fluge, die buhlenden Wellen.





Verwendung des Fingerhutes

Eine der schwierigsten heutigen Erziehungsaufgaben ist es nach meiner Meinung, durchzusetzen, dass Kinder zu bestimmten Arbeiten auch die entsprechenden Werkzeuge und Bekleidungen verwenden. Das geht schon damit los, das man bei Kälte keine Kopfbedeckung tragen will. In der Erwachsenenwelt ist dafür das Bewusstsein verloren gegangen, während es früher durch die Tradition geregelt wurde.

Im Gartenbauunterricht braucht man eine angemessene Fußbekleidung und beim Nähen braucht man einen Fingerhut.

Natürlich klingt das heute furchtbar unzeitgemäß und altmodisch, pedantisch und philisterhaft. Aber wenn man darüber nachdenken würde, dann würde man herausfinden, dass man dadurch zu einer viel größeren Ernsthaftigkeit im Leben erziehen würde, wenn man auf diese Dinge Wert läge:

"Im Handarbeitsunterricht war ich nur wenig darinnen, aber das eine Mal musste ich mir sagen, warum hat das Kind keinen Fingerhut? Ich habe immer gesagt, wir müssen die Kinder daran gewöhnen, mit Fingerhut zu nähen. Es kann das Kind nicht ohne Fingerhut nähen, das geht nicht an."


Quelle: Konferenzen mit Rudolf Steiner, GA 300a, S. 199

Donnerstag, 7. Mai 2009

Erfahrungen beim Schulwechsel auf die Waldorfschule

Eine Studie, die als Dissertation von Dr. Ulrike Luise Keller an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe entstanden ist, untersucht Erwartungen der Eltern und Befindlichkeit der Grundschulkinder vor und nach dem Wechsel an die Waldorfschule. Befragt wurden 478  Elternhäuser im Schuljahr 2004/05. Diese Studie zeigt, wie durch die  Methodik des Unterrichts an der Waldorfschule fehlende Motivation, Schulangst oder -verweigerung abgebaut wurden bis hin zur Verminderung psychosomatischer Symptome.

Quelle:
Ulrike Luise Keller "Quereinsteiger - Wechsel von der staatlichen
Regelgrundschule in die Waldorfschule", VS-Verlag Wiesbaden 2008

Samstag, 2. Mai 2009

Das Ideal – und die Wirklichkeit?

Nachfolgenden Artikel fand ich auf der Internetseite von Holger Niederhausen, Berlin:

http://www.holger-niederhausen.de/

Hier gebe ich den Anfang wieder:

"Schule, auch Waldorfschule, steht immer vor der Gefahr, zu sehr „Schule“ zu werden – also zu sehr das, was Schule immer schon war: eine Einrichtung, an der Kinder etwas zu lernen haben, was Erwachsene ihnen beibringen oder nahebringen müssen. Die Gretchenfrage an eine Waldorfschule ist immer wieder: Inwieweit macht sie diesen Gedanken nicht mit, inwieweit kann sie dem ganz anderen Gedanken folgen, der aus obigen Worten Rudolf Steiners hervorgeht – dass das Kind alles wirklich Wesentliche schon mitbringt und dass es nur darum geht, ob sich dieses auch wahrhaft entfalten kann oder nicht...

Manchmal hört(e) man von Waldorfschulen, dass Kinder traurig sind, wenn es Wochenende wird oder die Ferien anfangen – sie wollen lieber weiter in die Schule gehen...! So etwas wäre ein klares Zeichen dafür, dass das Kind die Waldorfschule unbewusst als jenen Ort erlebt, wo es sein wahres Wesen entwickeln können wird. Aber es ist offensichtlich, dass diese Dinge seltener werden, ja fast völlig der Vergangenheit angehören. Wo gibt es noch diese Kinder, die freitags oder zum Schuljahresende traurig werden? In der Regel gehen die Kinder im ersten, vielleicht auch im zweiten Jahr noch gerne zur Schule – nicht nur gerne, sie lieben die Schule, sie sind voller Begeisterung, lernen zu dürfen. Lernen und Mensch werden ist eins, eine begeisternde Perspektive eröffnet sich...

Doch dann kommt der Zusammenbruch – die tragische Erkenntnis beginnt zu dämmern, dass man nicht lernt, um Mensch zu werden, sondern weil man eben muss; weil Schule eben Schule ist; weil der Lehrer am nächsten Tag die Hausaufgabe kontrolliert; weil die Eltern sich argwöhnisch erkundigen, was man denn heute gemacht habe; weil man es später ja zu etwas bringen soll und und und... Es gelingt also nicht, das Erleben zu erhalten, dass Lernen etwas Wunderbares ist, dass Schule eine Mysterienstätte ist, an der sich das Wesen von Menschen entfalten kann, die die Zukunftsimpulse in sich tragen.

Warum gelingt dies nicht? Hier kommen viele Dinge zusammen, die man zunächst stichwortartig benennen kann: Mangelndes Verständnis für das Wesen der Pädagogik; mangelnde Kraft, dieses Verständnis im Alltag aufrecht zu erhalten und danach zu handeln (eine Fähigkeitsfrage), Überlastung, Konflikte im Kollegium, schwierige Außeneinflüsse aller Art..."