Samstag, 5. April 2008

F.A.Z.-Serie: Gehirntraining

Lebenslanges Lernen ist wie eine Muskelübung

17. März 2008 Als Mitunterzeichnerin des „Hirn-Manifests" von elf bedeutenden Neuroforschern hatte die Leipziger Sprach- und Kognitionsforscherin Angela Friederici den Satz mitgeprägt: Hans kann durchaus lernen, was Hänschen nicht gelernt hat. Selbst skeptische Köpfe wie sie finden dafür inzwischen viele Belege.

Die Hirnforscher sagen uns immer öfter, dass das Gehirn des Menschen trainierbar ist - und trainiert werden soll. Sie sprechen von Neuroplastizität, was bedeutet das?

Plastizität heißt Veränderung. Gemeint ist das, was sich im Gehirn verändert, sowohl an Hirnstruktur wie auch an Funktion in dem Moment, in dem man beispielsweise das Gehirn trainiert. Wir wissen, dass der Input, ob akustischer oder visueller Art, im Gehirn verarbeitet wird. Nun ist die Frage, inwieweit das Gehirn, wenn es hoch trainiert ist auf einen bestimmten Input, diesen sehr viel effizienter oder schneller verarbeiten kann als vorher.


Können Sie uns Beispiele dafür geben?

Man kann etwa Menschen, die schon früh ein Musiktraining hatten und ein entsprechend strukturiertes Hören erlernt hatten, mit Untrainierten vergleichen und dabei sehen, inwieweit Informationsverarbeitung bei ihnen schneller abläuft und welche Hirnareale involviert sind.

..... Es gibt ... schöne positive Beispiele, wie sich das Gehirn durch Inputs verändert.

Welche wären das?

Wir haben uns Kinder aus dem Thomaner-Kindergarten angeschaut, die schon sehr früh Musikerziehung genießen. Viele von denen sind später im Thomaner-Chor. Wir haben sie mit Kindern gleicher Intelligenz und gleichen sozioökonomischen Voraussetzungen verglichen. Die Thomaner-Kinder schneiden später nicht nur in Verhaltenstests besser ab, sie reagieren beispielsweise auch auf Fehler in Sätzen viel eher. Wenn man sich ansieht, welche Hirnareale das bewirken, dann sieht man, dass die Hirnareale, die Sprache verarbeiten, und diejenigen, die Musik verarbeiten, eine große Überlappung zeigen. Wenn ich also das Gehirn mit Musik trainiere, profitiert man gleichzeitig auch bei der Sprachverarbeitung.

Frühes und intensives Musiktraining würden Sie also unbedingt empfehlen?

Unbedingt,... Das Hirn wird insgesamt flexibler.

Stellt man da nicht vielleicht zu große Anforderungen an die Kinder? Eltern kutschieren ihre Kinder heute oft schon im Kindergartenalter von einem Verein zum nächsten. Ist es in dem Alter nicht auch sinnvoll, wenn die Kleinen Raum und Zeit haben, sich einfach hinzusetzen und anderthalb Stunden lang ein Buch anzusehen?

Kinder zu zwingen, etwas zu machen, was sie nicht wollen, ist sicher nicht erfolgreich. Da muss man einfach nur sensibel bleiben. Wenn die Kinder keinen Input mehr haben wollen, dann machen sie mental zu.

Ist das Vor-sich-Hinspielen nicht auch eine Form des Inputs?

Das kommt auf das Alter an. Kleine Kinder beschäftigen sich mit Spielzeug alleine nur ungern, allenfalls für kurze Zeit. Es braucht normalerweise unbedingt die Aufmerksamkeit eines Dritten. Nehmen wir an, die Mutter ist im Zimmer, kümmert sich aber nicht um Kind oder Spielzeug. Schon nach kurzer Zeit wendet sich das Kind der Mutter zu und möchte, dass man sich zu zweit um das Spielzeug kümmert. Mike Tomasello vom Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie, der das beschrieben hat, nennt das "Joint Attention", Aufmerksamkeit von beiden Seiten.

Wird, wenn man den Kindern ständig ins Gehirn schaut, nicht auch ein ungeheurer Druck auf Eltern ausgeübt, sich viel mehr mit der Wissenschaft der Erziehung zu beschäftigen und ständig nach neuen Inputs zu suchen?

Was die Eltern sollen, ist in erster Linie, sich mit den Kindern zu beschäftigen. Dazu kann es reichen, ihnen ein Kinderlied vorzusingen. Das hat inzwischen ja ohnehin fast schon jeder verlernt. Wenn wir wissen, dass wir mit Musik allein im Grunde genommen schon unsere Sprache trainieren, dann wissen wir, was sinnvoll ist. Entscheidend ist: Da, wo die Kommunikation und Interaktion fehlen, lernt das System nicht in der gleichen Art und Weise. Ein gutes Beispiel kommt aus der Welt der Singvögel. Die lernen anfangs ihre Strophen normalerweise von den Eltern. Wenn man den Vogel aber allein irgendwo hinsetzt und er es alleine versuchen soll, passiert nichts. Vor dem Fernseher sitzen finde ich aus dem Grund ganz und gar ungut.

Das Gehirn ist offenkundig ein sehr konservatives Organ, das evolutionär für bestimmte Aufgaben angelegt ist. Gibt es da möglicherweise Grenzen, was die Belastbarkeit und Erweiterungsfähigkeiten angeht, wenn wir etwa an die neuen Medienwelt mit Internet und virtuellen Realitäten denken?

Es gibt den Begriff lebenslanges Lernen. Wenn man das Gehirn am Lernen hält, dann ist es später, auch im Alter und unter komplexen Einflüssen, viel flexibler als viele denken. Aber das hat natürlich auch Grenzen. Was die Trainierbarkeit angeht, ist unser Gehirn vielleicht mit einem Muskel zu vergleichen. Ein Muskel, der lange nicht benutzt worden ist, wird natürlich schwerer zu reaktivieren sein.

Sicher lerne ich als Mittvierziger weniger Neues als ein Kleinkind. Aber lernt man nicht später auch unglaublich viel, nur auf einer anderen Ebene?

Das ist das, womit sich der Berliner Alternsforscher Paul Baltes am Ende immer intensiver beschäftigt hat: mit Weisheit. Das ist eine der Domänen, die im Alter besser sind als in der Jugend. Das sind aber andere Domänen.

Andere, aber deshalb doch nicht weniger wichtige. Muss sich die Hirnforschung in diesem Punkt nicht selbst dynamisieren und dahin kommen, dass sie quasi auch Weisheit messbar macht?

Wenn man an Weisheit interessiert ist, wird man das sicherlich machen. Es wird interessant sein, wie man versucht, so etwas in ein Experiment zu bringen. ...

Das Gespräch führte Joachim Müller-Jung.