Mittwoch, 21. April 2010

Schielen nach Anerkennung

"Wenn die Welt uns lobt, dann müssen wir uns fragen, was wir falsch gemacht haben"

Wenn man die "Erziehungskunst" längere Zeit aufmerksam gelesen hat, dann bemerkt man, dass immer mehr Projekte Eingang finden in den Waldorfunterricht , die mit Waldorfpädagogik nichts zu tun haben. Die Motivation dafür ist häufig, dass man es besonders nett und originell findet dieses oder jenes zu tun, ohne auf eine pädagogische Begründung zu achten. Man meint wohl, man lockert den Unterricht ein wenig auf, wenn man mit Erstklässlern z.B. schon eine Buchhandlung besucht oder mit Zweitklässlern eine Bibliothek. Wenn man dann mit den Kollegen darüber sprechen will, dann kommt als Antwort: Wenn es vielleicht auch nicht ganz pädagogisch begründbar ist, so wird es den Kindern schon nicht schaden.

Meist sind die Eltern auch ganz begeistert von solchen Vorhaben. Und oft tragen auch Eltern etwas in den Elternabend, was sie von anderen Schulen oder Einrichtungen kennen: "Kleine Wissensforscher Projekte" oder "Zeitung in der Schule". Solche Projekte haben mit Menschenkunde überhaupt nichts zu tun, sondern widersprechen normalerweise sogar menschenkundlichen Überlegungen.

Im Kollegium meint man dann, dass das für die Waldorfschule ein positives öffentliches Echo bedeutet: Wir kommen dann auch in die Zeitung! Wir sind dabei!

Wie ist das Selbstbewusstsein solcher Kollegien? Hat die innere Begeisterung und Überzeugung bezüglich des eigenen Tuns gelitten? Schielt man nach Anerkennung durch eine äußere Welt, die aber gar kein Verständnis für Waldorfpädagogik hat und sie gar nicht will?

Wirkliche Waldorfpädagogik ist in jedem Moment originell. Je konsequenter man Waldorfpädagogik im Unterricht verwirklicht, desto weniger kann das von der Welt verstanden werden. Unterrichtsmethoden, die aus der Menschenkunde heraus entwickelt werden, sind sogar den eigenen Eltern gegenüber oft kaum voll vermittelbar. Die Eltern können immer nur die Wirkung an ihren Kindern spüren: entwickeln sie sich gut oder nicht.

Oft muss man sogar einen Weg beschreiten, der völlig konträr ist dem, was man in der Welt für richtig hält. Wenn man die menschenkundlichen Äußerungen Steiners zum"Lesen" studiert und vielleicht sogar verstanden hat, weiß man, warum es so wichtig ist, dass die Kinder sich viel Zeit lassen dürfen beim Lesenlernen. Dann wird man sich schon dem Wahn der Welt, was das Lesen angeht, geschickt entgegenzustellen wissen. Und man wird auch den Besuch von Buchhandlungen und Bibliotheken - wenn überhaupt - so weit wie möglich in die Zukunft verschieben.

Rudolf Steiner war in diesen Dingen ungeheuer ernsthaft und konsequent: "Wenn die Welt uns lobt, dann müssen wir uns fragen, was wir falsch gemacht haben", sagte er einmal in einem Vortrag.

Blogger Kommentar
Cadi hat gesagt...

Hier in den USA ist an Waldorfschulen ein "Bewertung der 2. Klasse" ueblich. Damit fing man dann schon im November, zwei Monate nach Schulbeginn an. Diese Bewertung wurde in meiner Klasse von einer Waldorf-trainierten Heilpaedagogin durchgefuehrt. Ein Kritikpunkt war dass von 15 Schuelern nur vier lesen konnten. Als ich mich damit verteidigte dass fruehes lesen doch gar nicht sinnvoll ist, wurde mir vorgeworfen dass ich wohl als Melancholiker die Kritik nicht vertragen wuerde. :-)

22. April 2010 07:06