Menschen, die sich zur Waldorfpädagogik hingezogen fühlen, sind dies oft, weil sie sich mit der gegenwärtigen Kultur nicht ganz in Einklang empfinden. Sie haben manchmal Schwierigkeiten mit der abstrakt, technisch, maschinell und intellektuell gewordenen Welt. So betrachten sie die praktischen, die künstlerischen und die gefühlsfördernden Elemente der Waldorfpädagogik als etwas, was sie in der Welt sonst nicht mehr in dieser Weise finden. Sie suchen so oft manches, was in der heutigen Welt verloren gegangen ist. Es hat dieses Suchen so einen vergangenheitsorientierten Charakter. Manche Menschen lieben es heute ja auch, z.B. einen „mittelalterlichen Markt“ zu besuchen.
Damit wird aber der Charakter der Waldorfpädagogik nicht erfasst. Es ist – um es mit einem ganz mangelhaften Vergleich auszudrücken - so, als würde man bei einem Geschenk nur die Verpackung sehen und lieben, aber den Inhalt völlig verkennen. Der Inhalt ist nämlich etwas ganz anderes, etwas so Modernes und Zuküftiges, dass er gar nicht so sehr geliebt wird, wie die „Verpackung“. Gemeint ist die Erziehung der Bewusstseins-Seele.
Studiert man Steiners pädagogische Hinweise, so springt uns ständig das Wort "bewusst" oder „bewusstmachen“ ins Auge.
Künsterlische oder praktische Arbeit fördert zunächst „nur“ das Gefühl. Aber das reicht heute in unserer Kultur ja nicht mehr aus. Erst das bewusst gemachte Gefühl, erweckt im Kinde die Kräfte und Fähigkeiten, die es für die heutige Welt braucht.
Zum Beispiel sagt Rudolf Steiner zum Ende des 4.Votrages der Allgemeinen Menschenkunde folgendes- man möge dabei immer auf die Unterscheidung achten:
-Wiederholung im Tun wirkt auf das Gefühl
-Wird diese Wiederholung dem Kind bewusst gemacht, wirkt sie auf den Willen:
-Wiederholung im Tun wirkt auf das Gefühl
-Wird diese Wiederholung dem Kind bewusst gemacht, wirkt sie auf den Willen:
„Das Richtige liegt gar nicht zunächst darin, dass Sie darauf ausgehen, dem Kinde Ermahnungen, Sittenregeln zu geben, sondern Sie lenken es hin auf irgend etwas, von dem Sie glauben, dass es das Gefühl für das Richtige im Kinde erwecken wird und lassen dies das Kind wiederholentlich tun. Sie müssen eine solche Handlung zur Gewohnheit erheben. Je mehr es bei der unbewussten Gewohnheit bleibt, um so besser ist es für die Entwickelung des Gefühls; je mehr das Kind sich bewusst wird, die Tat aus Hingabe in der Wiederholung zu tun, weil sie getan werden soll, weil sie getan werden muss, desto mehr erheben Sie dies zum wirklichen Willensimpuls. Also mehr unbewusstes Wiederholen kultiviert das Gefühl; vollbewusstes Wiederholen kultiviert den eigentlichen Willensimpuls, denn dadurch wird die Entschlusskraft erhöht. Und die Entschlusskraft, die sonst nur im Unterbewussten bleibt, wird angespornt dadurch, dass Sie das Kind bewusst Dinge wiederholen lassen.
Wir dürfen also nicht mit Bezug auf die Willenskultur auf das sehen, was beim intellektuellen Leben von besonderer Wichtigkeit ist. Im intellektuellen Leben rechnen wir immer darauf: man bringt einem Kinde etwas bei, und es ist um so besser, je besser es die Sache begriffen hat. Auf das einmalige Beibringen legt man den großen Wert; dann soll die Sache nur behalten, gemerkt werden. Aber was so einmal beigebracht und dann behalten werden kann, das wirkt nicht auf Gefühl und Wille, sondern auf Gefühl und Wille wirkt das, was immer wieder getan wird und was als das durch die Verhältnisse Gebotene für richtig getan angesehen wird.
Die früheren, mehr naiv patriarchalischen Erziehungsformen haben das auch naiv patriarchalisch angewendet. Es wurde einfach Lebensgewohnheit. In allen diesen Dingen, die so angewendet wurden, liegt durchaus etwas auch gut Pädagogisches. Warum lässt man zum Beispiel jeden Tag dasselbe Vaterunser beten? Wenn der heutige Mensch jeden Tag dieselbe Geschichte lesen sollte, so würde er es gar nicht tun, das würde ihm viel zu langweilig fallen. Der heutige Mensch ist eben auf die Einmaligkeit dressiert. Die Menschen früherer Art haben alle noch das kennengelernt, dass sie nicht nur dasselbe Vaterunser täglich gebetet haben, sondern sie haben auch noch ein Buch mit Geschichten gehabt, die sie jede Woche mindestens einmal gelesen haben. Dadurch waren sie auch dem Willen nach stärkere Menschen als diejenigen, welche aus der heutigen Erziehung hervorgehen; denn auf Wiederholung und bewusster Wiederholung beruht die Willenskultur. Das muss berücksichtigt werden.
Daher genügt es nicht, in abstracto zu sagen: man muss auch den Willen erziehen. Denn man wird dann glauben, wenn man selber gute Ideen für die Willensausbildung hat und diese durch irgendwelche raffinierte Methoden dem Kinde beibringt, zur Ausbildung des Willens etwas beizutragen. Das nützt aber gar nichts in Wirklichkeit. Es werden doch nur schwache, nervöse Menschen diejenigen, welche man zur Moral ermahnen will.
Innerlich stark werden die Menschen werden, wenn man zum Beispiel zu den Kindern sagt: Du tust heute dies, und du tust heute das, und ihr beide werdet morgen und übermorgen dasselbe tun. - Da tun sie es auf Autorität hin, weil sie einsehen, dass einer in der Schule befehlen muss. Also: einem jeden eine Art Handlung für jeden Tag zuweisen, die sie dann jeden Tag, unter Umständen das ganze Schuljahr hindurch, vollbringen - das ist etwas, was auf die Willensbildung sehr stark wirkt. Das schafft erstens einen Kontakt unter den Schülern; dann stärkt es die Autorität des Unterrichtenden und bringt die Menschen in eine wiederholentliche Tätigkeit hinein, die stark auf den Willen wirkt."