Montag, 13. Juni 2011

Mit Beben und Zagen

Auch nach langjähriger Erfahrung als Lehrer an einer Waldorfschule, wundere ich mich gelegentlich, dass ich noch immer mit Aufregung in den Unterricht gehe.
Da lese ich ein tröstliches Zitat von Steiner:


"Man würde aber ganz gewiss am allerbesten unterrichtet haben, wenn man an jedem Morgen mit Beben und Zagen in die Klasse gegangen ist und sich gar nicht sehr auf sich selber verlassen hat, dann sich aber am Ende des Jahres sagt: Du hast eigentlich selbst am meisten während dieser Zeit gelernt..."

"Wenn Sie am Anfange des Schuljahres wirklich das alles ge­konnt hätten, was Sie nun am Ende des Jahres können, so hätten Sie schlecht unterrichtet. Gut haben Sie dadurch unterrichtet, daß Sie es sich erst erarbeitet haben! Also denken Sie, ich muß das Paradoxon vor Sie hinstellen, daß Sie dann gut unterrichtet haben, wenn Sie das nicht gewußt haben, was Sie am Ende des Jahres gelernt haben, und daß es schädlich gewesen wäre, wenn Sie zu Beginn des Jahres das schon gewußt hätten, was Sie am Ende des Jahres gelernt haben. Ein merkwürdiges Paradoxon!"

"Es ist da eigentlich so wie in den Künsten. Ich glaube nicht, daß einer ein ganz richtig gesinnter Künstler ist, der nach Abschluß eines Werkes sich nicht sagte: Jetzt könntest du es eigentlich erst. Ich glaube nicht, daß einer ein richtig gesinnter Künstler ist, der mit irgendeinem Werke, das er gemacht hat, zufrieden ist. Er kann eine gewisse selbstverständ­liche egoistische Pietät für das haben, was er gemacht hat, aber er kann eigentlich nicht mit ihm zufrieden sein. Ein Kunstwerk, vollendet, ver­liert ja eigentlich auch für den, der es gemacht hat, einen großen Teil des Interesses."

(Meditativ erarbeitete Menschenkunde S.19.f)