Freitag, 24. Oktober 2008

Autorität und Rechtschreibung

Die Rechtschreibung ist nichts Gottgegebenes. Sie ist eine Vereinbarung der Menschen. Man führt die Kinder dahin, dass sie verstehen, dass die Großen, die Älteren da etwas geschaffen haben, in das sie hineinwachsen werden. Die Kinder sollen dafür eine gewisse Wertschätzung entwickeln:

"...Nun handelt es sich darum, in Bezug auf eine solche Sache vor allem die richtige Gesinnung zu haben. Man kann ja selbstverständlich nicht eine beliebige Orthographie wuchern lassen, aber man kann wenigstens wissen, wie in Bezug auf diesen Gegenstand der eine und der andere Pol sich verhalte. Würden die Leute schreiben können, nachdem sie Schreiben gelernt haben, was sie hören an andern oder an sich selbst, so wie sie es hören, so würden sie sehr verschieden schreiben. Sie würden eine sehr verschiedene Orthographie haben, würden sehr stark individualisieren. Das würde außerordentlich interessant sein, aber es würde den Verkehr erschweren. Auf der andern Seite liegt das vor für uns, dass wir nicht nur unsere Individualität im menschlichen Zusammenleben entwickeln, sondern auch die sozialen Triebe und die sozialen Gefühle. Da handelt es sich darum, dass wir einfach vieles von dem, was in unserer Individualität sich offenbaren könnte, abschleifen an dem, was wir um des Zusammenlebens willen mit den andern entwickeln sollen. Aber wir sollten von dieser Tatsache ein Gefühl haben, und dieses Gefühl sollte mit uns heranerzogen werden, dass wir so etwas nur tun aus sozialen Gründen. Daher werden Sie, indem Sie den Schreibunterricht hindirigieren zum Orthographieunterricht, ausgehen müssen von einem ganz bestimmten Gefühlskomplex. Sie werden das Kind immer wieder und wieder darauf aufmerksam machen müssen ich habe das schon von einem andern Gesichtspunkt aus erwähnt , dass es Achtung, Respekt haben soll vor den Großen, dass es hineinwächst in ein schon fertiges Leben, von dem es aufgenommen werden soll, dass es daher das zu beachten hat, was schon da ist. Von diesem Gesichtspunkte aus muss man versuchen, das Kind auch in so etwas einzuführen, wie es die Orthographie ist. Man muss mit dem Orthographieunterricht parallelgehend ihm entwickeln das Gefühl des Respektes, des Achtens desjenigen, was die Alten festgesetzt haben. Und man muss Orthographie nicht ehren wollen aus irgendeiner Abstraktion heraus, etwa wie wenn die Orthographie durch eine göttliche ...Gesetzmäßigkeit da wäre - gleichsam aus dem Absoluten heraus, sondern Sie müssen in dem Kinde das Gefühl entwickeln: Die Großen, vor denen man Respekt haben soll, die schreiben so, man muss sich nach ihnen richten. Dadurch wird man allerdings eine gewisse Variabilität in die Rechtschreibung hineinbringen; aber das wird nicht überwuchern, sondern es wird eine Anpassung des heranwachsenden Kindes an die Erwachsenen da sein. Und mit dieser Anpassung sollte man rechnen. Man sollte gar nicht den Glauben hervorrufen wollen: So ist es richtig, und so ist es falsch , sondern man sollte nur den Glauben erwecken: So pflegen die Großen zu schreiben , also auch da auf die lebendige Autorität bauen."

Aus: Rudolf Steiner, Erziehungskunst - Methodisch-Didaktisches

Dienstag, 21. Oktober 2008

Zweites Tabu-Wort: Autorität

In Zusammenhang mit der moralischen Erziehung ist auch das Thema "Autorität" zu betrachten. Rudolf Steiner sprach immer von der liebevollen Autorität. Eben nur in dieser Verbindung mit der Liebe kann der Begriff für die heutige Zeit und die heutige Kindheit neu gegriffen werden. Und eine neue Anschauung und Praxis in dieser Hinsicht brauchen wir:

"Kein Unterricht verläuft im richtigen Fahrwasser, der nicht beglei­tet ist von einer gewissen Pietät gegen die vorangehende Generation. So gefühls und empfindungsmäßig diese Nuance bleiben muss, so muss sie doch mit allen Mitteln bei den Kindern kultiviert werden: dass das Kind mit Achtung, mit Respekt hinschaut auf das, was die älteren Generationen schon erreicht haben und was es auch durch die Schule erreichen soll. Dieses Hinschauen auf die Kultur der Umwelt mit einer gewissen Achtung, das muss in dem Kinde gleich von Anfang an erregt werden, so dass es wirklich –in denjenigen Menschen, die schon älter geworden sind, gewissermaßen etwas höhere Wesen sieht. Ohne die Erweckung dieses Gefühls kommt man im Unterricht und in der Erziehung nicht vorwärts..."

Aus: Rudolf Steiner,Erziehungskunst – Methodisch-Didaktisches, S. 52 f




"Wenn Sie in der 7. und 8. Klasse nur fertig kriegen, dass die Kinder das Autoritätsgefühl nicht verlieren! Das ist das Allernotwendigste. Das erreicht man aber am besten dadurch, dass man auf die Art, wie die Kinder sind, in höchst vorsichtiger Weise eingeht und sich doch wiederum gar nichts vergibt. Also nicht bei den Kindern wie ein Pedant erscheinen, nicht wie einer, der Lieblingsmeinungen hat. Man muß den Kindern scheinbar nachgeben, in Wirklichkeit aber gar nichts nachgeben. Gerade in dem 7. und 8. Schuljahr kommt es sehr, sehr auf die Art der Behandlung an. Da darf man sich in keiner Minute etwas vergeben, so dass die Kinder nicht hinausgehen und über den Lehrer spotten. Die Kinder müssen immer ehrgeizig darauf sehen wenn ich den Ausdruck brauchen darf, er betrifft nicht einen üblen Ehrgeiz, dass sie ihren Lehrer verteidigen und glücklich sind, daß sie diesen Lehrer haben. Das kann man doch bei den stärksten Rangen entwickeln. Man kann nach und nach das entwickeln, dass die Kinder den Drang haben, ihren Lehrer zu verteidigen, weil das ihr Lehrer ist. ...


Aus: Rudolf Steiner, Konf. I , S. 77 25.9. 1919