Sonntag, 22. März 2009

Es geht auch ohne Schule...

Man traut es sich ja als Lehrer nicht auszusprechen, aber es ist wirklich so: Das schulische Lernen ist nicht lebensentscheidend. Sicher mag es einige Vorteile haben, aber es hat auch viele Nachteile. Der ideale Weg ist erst dann gefunden, wenn sich die Liebe zum Menschen, zum Kind, als Hauptintention durchsetzt. Manchmal möchte man überspitzt ausgedrückt direkt sagen: Zum Glück lernen Kinder trotz Schule etwas. Gerade auch nach dem tragischen Vorfall in unserem Land, muss man beginnen radikal umzudenken.

In diesem Bericht über einen Menschen, der ohne Schule aufwuchs, sind beide Elternteil Pädagogen. Also Menschen, die das Erziehungssystem besonders gut kennen:


Quelle: www.welt.de

O-Ton Deutschland: Porträt

Ein Leben wie Hans im Glück

Von Aufgezeichnet Von Margita Feldrapp 17. März 2009, 03:02 Uhr

Der Franzose André Stern (38) wurde weder von Lehrern noch von seinen Eltern unterrichtet. Er war nur getrieben von Lust und Laune. Ja, ist das denn die Möglichkeit?

Ich war nie in der Schule. Nie. Andere erzählen, dass sie Angst vor Schulaufgaben und unangekündigten Tests hatten, dass sie sich den Zitronensäurezyklus oder den Hexameter in den Kopf prügeln mussten und dann auch noch im Sportunterricht als Letzte in eine Mannschaft gewählt wurden. Ich kenne das alles nicht. Ich hatte eine glückliche Kindheit.Niemand hat mich an ein Schulbuch gefesselt, Lektion für Lektion, niemand hat mich nach einem staatlichen oder selbst erdachten Lehrplan unterrichtet. Meine Eltern beantworteten meine Fragen, wenn ich etwas von ihnen wissen wollte, suchten mit mir Bücher oder halfen mir, Leute zu finden, die mir weiterhelfen. Das machte mir Spaß, und ich lernte ausschließlich das, was mich interessierte. Ohne Prüfung, ohne Zertifikat - bis heute. Ich bin 38, Gitarrenbauer, Musiker, Komponist und Journalist, arbeitete als Chefredakteur eines Magazins. Das war mein Weg dorthin:

Ich bin in einer kleinen Wohnung in Paris-Mitte aufgewachsen, mein Vater, ein Franzose deutscher Abstammung, ist Pädagoge, meine Mutter Französin, von Beruf Grundschullehrerin. Sie gab aber ihren Beruf auf, um die Kindheit von mir und meiner jüngeren Schwester nicht zu versäumen und ebenso wie mein Vater in der Nähe zu sein, wenn wir sie brauchten. Je älter wir wurden, desto mehr kümmerte sie sich aber um ihre eigenen Dinge und wir um unsere. In Frankreich geht so etwas, da gibt es keine Schulpflicht, ebenso wie in Österreich und anderen Ländern.

Lesen habe ich schon mit drei gelernt. Ich fand, dass der Buchstabe O wie ein Ei aussah, das C wie ein Eierbecher, ich entdeckte Eier mit Schwänzchen (Q) und Schwänzchen ohne Eier (I). Ich wollte wissen, wie die Buchstaben heißen, fragte wieder und wieder. Buchstaben entziffern, das war ein großer Spaß. Ich begann zu lesen, nur stotternd, aber immerhin. Rechnen begann ich mit vier, erstaunlicherweise über das Dividieren, weil ich merkte, dass fünf Finger an der einen Hand nur halb so viel sind wie zehn. Millionen Kinder lernen in der Schule zuerst die Addition.

Mit neun konnte ich allerdings noch nicht flüssig lesen. Niemand sagte etwas dazu, niemanden besorgte das. Ich glaube, dass es vielen Eltern heute schwerfällt, so geduldig zu sein. Sie haben Angst, dass ihr Kind etwas verpassen, langsamer sein könnte als andere, sie werden panisch und drängeln. Doch in der Schule müssen die Kinder in einem Tempo lernen, das nicht das ihre ist, manche versagen, andere verlieren die Lust. Manchmal ist Schule eben auch schädlich.

Ich hatte meinen eigenen Rhythmus, mit zehn konnte ich plötzlich ordentlich lesen, ich weiß nicht mehr, wie. Aber ich weiß, dass Kinder viel mehr schaffen, als man meint - solange man ihnen Zeit gibt und Freiheit und ihnen vertraut. Meine Eltern waren davon fest überzeugt.


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André Stern hat seine Erfahrungen in dem Buch "... und ich war nie in der Schule. Geschichte eines glücklichen Kindes" zusammengefasst. Es erschien jüngst im Zabert Sandmann-Verlag.