S. 35
"Die öffentliche Pflege des Geisteslebens in Erziehung und Schule ist in der neueren Zeit immer mehr zur Staatssache geworden. Dass das Schulwesen eine vom Staat zu besorgende Angelegenheit sei, wurzelt gegenwärtig so tief im Bewusstsein der Menschen, dass, wer an diesem Urteil rütteln zu müssen vermeint, als ein weltfremder «Ideologe» angesehen wird. Und doch liegt gerade auf diesem Lebensgebiete etwas vor, das der allerernstesten Erwägung bedarf. Denn diejenigen, die in der angedeuteten Art über «Weltfremdheit» denken, ahnen gar nicht, welch eine weltfremde Sache sie selbst verteidigen.
Unser Schulwesen trägt ganz besonders die Charakterzüge an sich, die ein Abbild sind der niedergehenden Strömungen im Kulturleben der gegenwärtigen Menschheit. Die neueren Staatsgebilde sind mit ihrer sozialen Struktur den Anforderungen des Lebens nicht gefolgt. Sie zeigen zum Beispiel eine Gestaltung, die den wirtschaftlichen Forderungen der neueren Menschheit nicht genügt. Sie haben diese Rückständigkeit auch dem Schulwesen aufgedruckt, das sie, nachdem sie es den Religionsgemeinschaften entrissen, ganz in Abhängigkeit von sich gebracht haben.
Die Schule auf allen ihren Stufen bildet die Menschen so aus, wie sie der Staat für die Leistungen braucht, die er für notwendig hält. In den Einrichtungen der Schulen spiegeln sich die Bedürfnisse des Staates. Man redet zwar viel von allgemeiner Menschenbildung und ähnlichem, das man anstreben will; aber der neuere Mensch fühlt sich unbewusst so stark als ein Glied der staatlichen Ordnung, dass er gar nicht bemerkt, wie er von der allgemeinen Menschenbildung redet und eigentlich die Ausbildung zum brauchbaren Staatsdiener meint."