Sonntag, 31. Oktober 2010

Vor - weihnachtliche Gedanken zu einem un - weihnachtlichen Thema

Waldorfschule und die mangelnden Finanzen

 Als man in Israel das Kommen des Messias erwartete, hatte man die Vorstellung, dass dieser in Reichtum, Pracht und Herrlichkeit in dieser Welt erscheinen würde und als großer König, Feldherr und Befreier das Volk Israel vom Joche seiner vielen Feinde, Besatzer und Unterdrücker erlösen werde.

Die Geburt eines Kindes  unter den armseligsten Verhältnissen gar in einem Stall hatte niemand erwartet. Dies war auch ein wesentlicher Grund dafür, dass Jesus als Messias nicht die nötige Aufmerksamkeit und Anerkennung gerade durch die Führer des Volkes bekam.

Die armen Hirten, die ja selbst macht- und mittellos geschildert werden, erkannten als erste das wahre Wesen und die Bedeutung dieses neugeborenen Kindes.

Zum Glück kamen dann die fremden Könige, die das Kind beschenkten und ihm und seiner Familie so das Überleben für eine gewisse Zeit der allergrößten Not ermöglichten.
Not und Armut waren immer die Begleiter der Urchristen, die die Idee des Christentums in die Welt hinaus trugen.

Scheinbar ist den Vertretern neuer, zukünftiger Ideen immer wieder ein ähnliches Schicksal beschieden.
So  waren es auch die Pioniere der Waldorfschule gewohnt, neue Schulen unter ziemlich unwirtlichen Umständen zu begründen. Viele Wirte verweigerten die Herberge, da sie auf zahlungskräftigere Gäste warteten. Deshalb zog man weiter, bis einem dann irgendeine stallähnliche Herberge zugewiesen wurde.
Viele „arme Hirten“ – die Eltern-, die in ihren Herzen die Bedeutung dieser neuen Pädagogik erkannten, gesellten sich hinzu, schenkten Wolle, Milch, Lämmchen und Mehl, damit für die Gesundheit des Leibes gesorgt wäre und ihre eigenen Kinder recht gut behütet werden und an Leib und Seele gesund in dieser neuen Schule aufwachsen könnten.

Wenn die Kinder in unserer Schule fragen, warum denn das Garagengebäude so hässlich aussehe oder warum im Eurythmieraum immer wieder so viele schwarze Flecken an den Wänden und Decken aufträten und Eimer dastünden, um das Wasser, das durch die Decke tropft aufzufangen, dann kann man ihnen nur als Antwort geben: Wir sind leider eine arme Schule.

Die Änderungen im Geldstrom

Zu Zeiten der Begründung unserer Braunschweiger Schule vor gut 30 Jahren, da war die Lage und das Bewusstsein in der Stadt und im Land so, dass man die eigenen Schulen gut instandhalten konnte und wollte und auch immer wieder Fördergelder für freie Schulen übrig hatte.
Die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung in den letzten Jahrzehnten hat es dann mit sich gebracht, dass dem Staat immer weniger ausreichende Mittel zur Verfügung standen und er dann da zu kürzen begann, wo sich am wenigsten Widerstand zeigte. Das soll auf keinen Fall irgendwie als Kritik verstanden werden, denn im Staat spiegelt sich ja das wieder, was im Bewusstsein vieler Menschen lebt und was den Forderungen der meisten und mächtigeren Bürgergruppen entspricht.
Das hing nun wiederum damit zusammen, dass das Wirtschaftsleben sich immer mehr in den Vordergrund drängte und kulturelle und soziale Gesichtspunkte zweitrangiger geworden sind.

Früher konnte die öffentliche Hand noch genügend Geld dem Wirtschaftkreislauf entnehmen, um z.B. das  Bildungswesen ausreichend zu finanzieren. Heute dominiert das Gewinnstreben als Hauptziel die Wirtschaft, und man hat den Eindruck, dass alles andere dahinter zurücktreten muss. Im internationalen Finanzsystem entziehen sich ungeheuere Geldmassen ihrer Herkunft aus den einzelnen Gesellschaften und ihrer Verantwortung für die einzelnen Länder und Kulturen. Diese Geldmassen kennen nur noch einen Hauptzweck: Das Geld soll aus sich selbst heraus immer noch mehr Geld gebären. Was natürlich nur zum Schein möglich ist und in Wirklichkeit eine gewaltige Unwahrheit ist, denn wenn sich irgendwo Geld anhäuft, dann fehlt es notwendigerweise an einer anderen Stelle. Großer Reichtum hat immer als Schatten auch große Armut.

Die deutsche Gesellschaft ist nach wie vor so organisiert, dass der Staat als gerechter Ausgleicher und Verteiler, von dem Geld, das an der einen Stelle zu viel vorhanden ist, etwas  abzuschöpfen soll, um es dorthin umzuleiten, wo zu wenig Geld hinfließt oder wo eben gar kein Geld vorhanden ist.

Das Bildungswesen z.B. kann nur von dem Geld leben, das anderswo verdient wird und das der Staat ihm dann zuführt.

Die amerikanische Gesellschaft funktioniert dagegen ganz anders. Hier ist der Staat nicht an erster Stelle der große Fürsorger, der die Gelder dorthin leiten soll, wo sie fehlen. In Amerika gilt überwiegend die Devise: Jeder soll selbst für sich sorgen. Wer reich ist, der hat das eben verdient, und wer arm ist ebenso. Man verehrt und bewundert den Reichtum und strebt danach, auch reich zu werden.

Dafür hat sich aber eine unglaubliche Spendenkultur entwickelt. Ungeheuere Geldsummen werden von einzelnen Industriellen oder von Stiftungen dem kulturellen Leben zugeführt, ohne dass der Staat darauf einen Einfluss hat. Überhaupt muss das Bildungswesen überwiegend privat finanziert werden. Als Ausgleich ist die Abgabenbelastung der einzelnen Haushalte viel geringer.

Man könnte dies - grob vereinfacht – so nebeneinanderstellen:

Amerika:         Aus den Gewinnen des Wirtschaftslebens fließt  Geld je nach den individuellen Gesichtspunkten oder Überzeugungen der kleineren und größeren Geldverdiener direkt in den Bildungsbereich.
                       
                        Wirtschaft  --------------- Bildung
                                               Spende

Deutschland:   Der Staat entnimmt dem Wirtschaftsbereich Geld und verteilt es nach seinen politischen Gesichtspunkten im Bildungsbereich.

                        Wirtschaft     ------------   Staat          ------------------      Bildung
                                                Steuer                                        Vollfinanzierung
                                                                                            und Kontrolle

Heutiges Dilemma

Die heutige Dominanz des Gewinnstrebens in der Volkswirtschaft ist auch eine Folge der Globalisierung, die alle Unternehmen zwingt, sich den internationalen Kriterien zu unterwerfen. Die internationalen Standards des Wirtschaftslebens sind aber eigentlich überwiegend die amerikanischen Gesichtspunkte: Wenig Geld für den Staat und  Anhäufung von Geldmengen in privater Hand oder an vergleichbarer Stelle.

Diese Tendenz hat sich auch in Deutschland durchgesetzt. Was hier aber noch fehlt, das ist das Bewusstsein, dass jetzt unbedingt mehr und mehr private Gelder auf freiwilliger Basis zurück in den Bildungsbereich fließen müssen. Für die Bildung ist das in Zukunft eine Frage des Überlebens. Noch immer fordert man bei uns, dass die öffentliche Hand wie früher Schulen und Universitäten fördern müsse. Das kann sie aber längst nicht mehr ausreichend, da sich im Wirtschaftsbereich die Lage so sehr amerikanisiert hat.

Die Rettung für Kultur und Bildungswesen liegt heute nur noch darin, dass immer mehr private Gelder, in diesen Bereich fließen. Es muss Privatmenschen geben, die empfinden können, welche Bedeutung ein gesundes kulturelles Leben für die Weiterentwicklung unserer Gesellschaft hat, und die ihr Herz und ihren Geldbeutel öffnen, und uneigennützige Unterstützung gewähren. Wer heute noch denkt, dass der Staat allein das Bildungswesen tragen kann, berücksichtigt nicht die Entwicklung der letzten Jahrzehnte.

Für die Waldorfschulen als ärmstes und schwächstes Glied des  kulturellen Lebens gilt dies in gesteigertem Maße. So wie es heute üblich ist, werden sie nicht mehr lange ein menschenwürdiges Leben führen können. Die öffentliche Hand kann und will auch offenbar nicht mehr helfen, weshalb die Unterversorgung schon als normal gilt. Die Elternhäuser können eher weniger als mehr zum Schulhaushalt beitragen. Und es ist sowieso eine unverständliche soziale und wirtschaftliche Ungerechtigkeit, dass man in unserer deutschen Gesellschaft bei dieser gewaltigen privaten Abgabenbelastung der privaten Haushalte auch noch Schulgeld bezahlen muss.

In Zukunft muss mehr Geld aus Stiftungen und aus den Gewinnen des Wirtschaftslebens in möglichst unbürokratischer Weise direkt besonders auch in die Waldorfschulbewegung hineinfließen, damit die Geldarmut nicht zur alltäglichen Sorge der Waldorflehrer wird, und sie stattdessen noch mehr und besser für ihre Schüler sorgen können.

Die Waldorflehrer spielen gerne zu Weihnachten in ihren Weihnachtsspielen die armen Hirten. Aber man vergesse nicht, dass dazu auch noch ein Dreikönigsspiel gehört. Wenn die Geldkönige dieser Welt das arme Waldorfkind nicht auch beschenken, dann ist noch etwas unvollständig geblieben.