Märchen erzählen
In Ergänzung des Eintrags über den "ersten Schultag" soll hier noch kurz auf die Einschulungsfeier für die neuen ersten Klassen eingegangen werden. Eine Tradition in vielen Schulen ist es, dass der neue Klassenlehrer seinen Kindern noch im Saal ein Märchen erzählt oder beginnt ein Märchen zu erzählen, um es dann in der Klasse zu Ende zu führen.
Die Frage ist, in wie weit das sinnvoll ist. Abgesehen davon, dass das restliche Publikum gewöhnlich meistens nicht viel davon versteht und demzufolge immer unruhiger wird. Aber wäre es nicht besser, wenn ein Märchen in einem viel intimeren Rahmen erzählt würde?
Diese Geschichte für die Erstklässler lässt sich wohl auch auf die Worte zur Einschulung, die Rudolf Steiner den Lehrern vorgeschlagen hatte, zurückführen.
In diesem Moment der sehr feierlich und würdig zu haltenden Einschulungsfeier erwarten Kinder und Eltern vom neuen Lehrer gewichtige Worte zu dem, was nun bevorsteht. Es ist einer der größten Momente im Leben eines Kindes und auch einer Familie. Es ist eine der größten Chancen für die Waldorfschule und die Klasenlehrer etwas von den erzieherischen Anliegen aufzugreifen und zu übermitteln.
Ist es wirklich die richtige Antwort auf all die unbewussten Fragen in den Eltern und Schülerherzen, in diesem Moment ein Märchen zu erzählen? Märchen kennen die Kinder auch schon aus dem Kindergarten oder von zu Hause. Es ist eigentlich nicht das, was sie an diesem Tag, der der Startschuss für einen neuen Lebensabschnitt bedeutet, erwarten.
In einer oberen Schicht des Bewusstseins wird man sich freuen, dass dem Kind ein Märchen geschenkt wird, weil man es auch für kindgemäß hält.
In einer tieferen Schicht des Bewusstseins nährt man die leider immer wieder in den Eltern nagende Sorge, ob die Kinder so richtig auf das Leben vorbereitet werden. Das wühlt mehr in den Tiefen und kommt dann an bestimmten Orten und zu bestimmten Zeiten hervor.
Die Eltern suchen immerzu nach Antworten auf die tiefen Fragen. Es ist gut, alle Momente zu nutzen, dem entgegenzukommen.