Quelle: Seite 12 - Feuilleton Das Goetheanum Nr. 47/ 08
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von Holger Niederhausen
Zukunftsfähigkeit schaffen
Wo steht die Waldorfpädagogik heute, und wie können wir für die Zukunft arbeiten? Mit diesen Fragen beschäftigte sich am 8. November das Kolloquium der Pädagogischen Akademie am Hardenberg Institut in Heidelberg....
...Eine vielleicht noch größere Sorge betraf die Substanz in den Schulen selbst. An vielen Schulen findet anthroposophische Grundlagenarbeit kaum statt und wenn, steht sie oft unverbunden neben dem Organisatorischen. Ein Kollege berichtete, viele Studenten interessierten sich sehr für eine solche Arbeit, fragten sich aber nach den ersten Konferenzen, wo sie denn lebe. Auch die Kinderbesprechung, als ein wesentliches Element der Waldorfpädagogik, wird offenbar in immer weniger Schulen ernsthaft praktiziert.
Dem Schwinden dieser Grundlagen steht ein Anstieg an Schwierigkeiten und Konflikten in der kollegialen Zusammenarbeit gegenüber. Immer mehr Waldorfschulen ziehen Mediatoren und Berater hinzu, um an Problemen im Sozialen zu arbeiten.
Mehrere Lehrer sahen einen Zusammenhang beider Entwicklungen: die anthroposophische Arbeit sei die Grundlage sowohl für die gemeinschaftliche Selbstverwaltung als auch für die Pädagogik. Ohne sie träten auf allen Ebenen vermehrt Probleme auf.
Von Fragen der Dreigliederung oder des Kulturauftrages darf man oftmals gar nicht sprechen, ohne den Unmut der Kollegen auf sich zu ziehen, die darüber klagen, nicht einmal genug Kraft für das Alltägliche zu haben. Doch es ist wichtig, auch nach außen zu wirken, da sonst das Umfeld in kraftraubender Weise auf die Schulen rückwirkt, wie etwa in der Prüfungsfrage.
Kinderbetrachtung und geistige Arbeit
Eine Kollegin erläuterte, warum die Grundlagenarbeit heute notwendiger sei denn je. Was die Kinder ihrem eigenen Wesen nach mitbringen, sei heute aufgrund eines Dickichts an Außeneinflüssen immer schwieriger zu erkennen. Die Jugendlichen wiederum, äußerlich stiller und angepasster als früher, zeigten ein tief beeindruckendes Begegnungsbedürfnis und die Fähigkeit zu einem Tiefgang neuer Qualität. Dem gerecht zu werden, erfordere eine stete innere Schulung des Lehrers.
...Christof Wiechert, Leiter der Pädagogischen Sektion am Goetheanum, betonte ein Gefäß für den Geist müsse auch von ihm gefüllt werden, sonst kämen Gegenwirkungen hinein. Elemente wie Epochen und Nicht Sitzenbleiben ergeben noch keine Waldorfschule und den Geist müsse man in der Kinderbetrachtung wecken .Nun ging Wiechert auf die Übergänge zwischen wachend bildhaftem Erkennen träumend inspiriertem Fühlen und schlafend intuitivem Wollen, wie sie im sechsten Vortrag der
von Rudolf Steiner beschrieben werden, ein. Darin weist dieser auf die Notwendigkeit der Entwicklung eines hin, die Fähigkeit im richtigen Moment intuitiv das Richtige zu tun. jeder Lehrer kennt aber die Schwellenerlebnisse der Ohnmacht, die Augenblicke, in denen es nicht gelingt. Aus Angst vor der Schwelle flüchte man sich dann allzu oft in Strukturen - der Eintrag ins Klassenbuch ist dafür ein Beispiel.
Ein Kollege beschrieb aus eigener Erfahrung, wie wesentlich das Bildhafte sei. Wenn es etwa in Chemie um Feuer und Kalk geht, sei es eine Herausforderung, die Kräfte und das Wesen der Prozesse bis in die Geste hineinzubekommen. Dann aber sei der Unterricht nicht intellektuell. Und es ist gar nicht zu überschätzen, wie stark Kinder mit dem mitleben, was die Lehrer im Seelisch Geistigen selbst realisieren.
Es braucht eine Renaissance
Die Waldorfpädagogik bedarf einer steten, geistigen Arbeit und Ich Tätigkeit des Einzelnen, die das Moralisch Geistige immer wieder neu hervorbringen. Was nach Rezept verwirklicht wird, trägt nicht mehr.
Was aber kann man nun in seiner Schule aktiv tun, wenn die anthroposophische Grundlagenarbeit nicht im ganzen Kollegium gleich neu ergriffen wird? Man kann selbst anfangen und sich mit Kollegen zusammentun, die dasselbe Anliegen haben. Eine solche innere Arbeit von drei, vier Menschen hat in jedem Fall ihre Wirkung und zieht auch andere Kollegen an. ...
Christof Wiechert wies auch auf die Problematik des heutigen Freiheitsbegriffes hin. Im Denken ist eine ungeheure Individualisierung der Vorstellungen eingetreten, während im (gerade pädagogischen) Handeln oft große Konformität eintritt: „In der Waldorfschule macht man das so!“ Vom Geiste aus gesehen, müsse es jedoch genau umgekehrt sein: Im Denken wahrhaftig, im Handeln individuell. So erschafft jeder die Waldorfpädagogik täglich neu. ...
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