Kürzlich fand ein pädagogisches Gespräch zwischen Lehrer und Eltern statt. Es ging um die Sorge um ein Kind, das nach den Gesichtspunkten der Regelschule, sicher schon mindestens einmal das Klassenziel nicht erreicht hätte.
Das Kind geht trotz vieler Misserfolge gerne zur Schule, läuft fröhlich durch die Welt und meint von sich, dass es im Grunde doch alles könne.
Im Gespräch stellte man fest, dass das Kind ein Meister der Verdrängung sei. Es habe richtiggehend Techniken entwickelt, um Arbeit zu vermeiden. Die Lernrückstände würden so immer größer. Seine Einstellung sei ein Schutz und bewahre ihm so noch immer eine recht glückliche Kindheit.
Die Haltung der Erwachsenen bei diesem Gespräch erschien souverän und gefasst. Man hatte die Sache analysiert und blickte auf das Kind, als hätte es ein besonderes Problem, das man nicht befürworten könne und wo man Abhilfe schaffen müsse.
Auf der Heimfahrt nach diesem Gespräch blickte der Schreiber dieser Zeilen auf das Gespräch zurück und begann immer nachdenklicher zu werden. Zeigte sich an dem Kind nicht eine Angelegenheit, in der wir alle schon Lebensmeister geworden waren: Verdrängung. Wer blickt denn den Aufgaben, die ihm das Leben, der Beruf, die Familie usw. in Wirklichkeit stellt, wachen Sinnes ins Auge? Haben wir nicht auch Wege entwickelt, relativ glücklich zu leben, ohne dass wir viele Dinge anpacken würden, die wir längst hätten bewältigen müssen? Haben wir mit dem Jahreswechsel, das Klassenziel des letzten Jahres erreicht, oder sind wir in Wirklichkeit doch nicht viel weiter, als wir es ein Jahr zuvor waren ?
Mir fiel es wie Schuppen von den Augen. Das Kind, bzw. das Gespräch hatte mich wieder einmal tüchtig belehrt!