Schüler müssen den Unterricht, den sie besuchen auch wollen - "wollen" heißt nicht "mögen". Es ist natürlich ein Ideal, dass Kinder mit Freude und Begeisterung an einem Unterricht teilnehmen.
So erlebe ich es, dass eine Klasse selbst in einem Unterrichtsfach, das sie aus irgendeinem Grunde gar nicht mag, relativ brav mitarbeitet - meist handelt es sich dabei um Englisch oder Französisch.
Schwierig wird es in höheren Klassen immer wieder im Fach Eurythmie. Man konnte in den letzten Jahren verstärkt Äußerungen ehemaliger Schüler hören oder lesen, dass ihre Abneigung gegen dieses Fach ihnen die ganze Waldorfschulzeit im Rückblick verdirbt. Auch bei uns kommt es immer wieder zu individuellen oder zu kleineren Gruppen-Revolten gegen dieses Fach, obwohl es von sehr erfahrenen Pädagoginnen unterrichtet wird.
Wir haben hier im Vergleich zu anderen Fächern das Problem, dass keine gesellschaftliche Anerkennung dieses Faches vorliegt. Wenn beispielsweise den Kindern die Mathematik nicht gefällt, dann sagen alle Leute: Das muss man doch lernen! Und schon geben die Kinder Ruhe und fügen sich widerwillig ihrem Schicksal. Keiner würde wagen, gegen das Fach als solches zu revoltieren.
Bei der Eurythmie aber heißt es: Wofür braucht man das schon, das ist doch nicht so wichtig! Und in der Welt gibt es gar überwiegend verächtliche, spöttische Äußerungen darüber, dass die Waldorfschüler das machen (müssen). Unsere Schüler müssen in der Welt deshalb immer häufiger als Witzfiguren herhalten. Die Medien transportieren dieses Urteil mehr und mehr.
Steiner warnte schon vor fast 90 Jahren: Wenn die Eurythmie nicht in den nächsten Jahren zum Kulturfaktor wird, dann können wir sie in den Schulen nicht mehr unterrichten!
Somit ist die Lage klar: Der Eurythmieunterricht kann heute sogar zum Schaden der Waldorfschulen werden. Man muss also sehr wach verfolgen, wie die Schüler einer Klasse den Unterricht aufnehmen. Es wird wohl immer unterschiedlich sein. Regt sich zu starker Widerwille, wird man den Unterricht wohl aussetzen müssen. Man wird besonders unwilligen Schülern Brücken bauen müssen, damit die Situation nicht eskaliert. In den höchsten Klassen wäre dringend eine Walhfreiheit für den Eurythmieunterricht zu erwägen. Oder ein Wahl-Pflicht-System: Man stellt z.B. drei Fächer (Musik, Eurythmie, Kunst) nebeneinander und die Schüler können sich für eine der Künste entscheiden.
Es hilft nicht, sich auf eine starre Haltung festzulegen und zu denken, man müsse eine Tradition möglichst lange pflegen.
Welche Wirkung wird die Eurythmie auf Seele und Leib haben, wenn sie von negativen Gefühlen begleitet wird? Ihre stärkste positive Wirkung entfaltet sie sicherlich vor dem 14.Lebensjahr. Und vielen Eurythmie-Lehrerinnen und -Lehrern kann es heute noch gelingen, die Klassen mehr oder weniger harmonisch und konfliktfrei bis ins achte Schuljahr hinein zu führen. Danach muss die Eurythmie von einem sie liebenden Bewusstsein begleitet sein, um noch in Wahrheit fruchtbar wirken zu können.
Es muss alles ohne Zwang und Härte geschehen. Gerade in diesem besonderen Fach. Sonst wird das Gute zum Schlechten.
Dazu auch: "Eurythmie als Kulturfaktor"