Mittwoch, 19. Mai 2010

Verwaltungsfragen

Muss man es ernst nehmen, wenn man eine Entscheidung delegiert hat, und es gefällt einem diese Entscheidung eines delegierten Komitees nicht?

In sozialen Gestaltungsfragen nahm Rudolf Steiner alles sehr bewusst, ja pedantisch genau.

Nachdem es im ersten Kollegium der ersten Waldorfschule in Stuttgart Schwierigkeiten bei der Schulverwaltung gab, wurde eine Gruppe, ein "Komittee", von den Kollegen gewählt, dieses Komittee sollte wiederum drei Kollegen bestimmen, die sie für die Schulverwaltung für geeignet hielten. Das Kollegium sollte dann dieser Auswahl zustimmen.
Als die Dreiergruppe vorgestellt wurde, meldete sich ein Mitglied des Kollegiums und schlug wohlmeinend zur Ergänzung dieses Dreiergremiums einen vierten Kollegen vor.

Damit wurde der ganze, gründlich vorbereitete Weg über den Haufen geworfen, da die Arbeit der Vorbereitungsgruppe quasi negiert wurde. Rudolf Steiner reagierte empört wie selten. Er betrachtete diesen ergänzenden Vorschlag als ein Misstrauensvotum. Für ihn ist es selbstverständlich, dass das Komittee sofort zurücktritt :

Dr. Steiner:

Das würde doch das vollste Misstrauen bedeuten. Dieses vorbereitende Komitee legt seine Funktionen nieder mit der heutigen Lehrerkonferenz. Selbstverständlich ist es so, dass dieser Gegenvorschlag gemacht werden kann. Das Misstrauen würde darin bestehen, dass man einfach, ohne weiter sich aufzuregen, nun um abzustimmen, nicht per Block, sondern per Akklamation, für vier stimmt. Selbstverständlich ist es an sich kein Misstrauens­votum für das Komitee, wenn die vier Herren gewählt werden. Aber so, wie die Behandlungsweise projektiert worden ist, wäre es ein Misstrauensvotum, weil man den Vorschlag des Komitees ohne Dis­kussion in den Wind schlägt. Das Misstrauen liegt darin, dass man ein

Komitee einsetzt, von dem man voraussetzt, dass es mit Prüfung der Tatsachen unter voller Verantwortlichkeit seine Vorschläge macht.

Dann wird ein Gegenvorschlag gemacht. Nun wählen wir sie alle vier. Das heißt, dass man einen Akt, den man selbst gemacht hat, so wenig ernst nimmt. Um die Sache loszukriegen, stimmt man für alle vier.

Das bedeutet ein Misstrauen für das Komitee. Die Sache so behan­deln, dass wir bloß die Illusion erwecken wollen, dass wir harmonisch und einig sind, das bedeutet das Misstrauen gegen das Komitee.

Wir müssen ehrlich uns aussprechen. Darauf kommt es an, dass jeder seine festbegründete, innere Meinung hat. Wie wir hier die Waldorfschule gegründet haben, haben wir aus dem Herzblut heraus die Sache begründet, und jetzt geht so viel von dem schrecklichen System, von dem Unernst, dem nicht Seriösnehmen der Sache, auch ins Kollegium herein. Es bedeutet doch etwas anderes, wenn das Kollegium einig ist, dass der Vorschlag angenommen wird oder nicht. Das ist doch eine Sache, die einem ans Herz geht. Das möchte ich betont haben, dass wir die Sachen nicht oberflächlich nehmen dürfen. Unter‑ und Hintergründe bestehen, ich gebe mich keiner Illusion hin. Wenn ein solcher Vorschlag gemacht wird, so bestehen Untergründe. Auf dem Felde der Anthroposophie muss Ehrlichkeit und nicht Verwutzeltheit herrschen. Das ist, um was ich Sie bitte, einmal ernsthaft anzufangen, wenigstens hier, an der Stätte der Waldorfschule wenigstens aufrechtzuhalten, dass wir nicht über Disharmonien einfach in eine Atmosphäre von Augenzudrücken übergehen, dass wir uns ehrlich aussprechen.

Ist es denn unmöglich, dass sich die Leute sagen, ich habe dies und jenes auf dem Herzen gegen dich, und man leidet sich deshalb nicht weniger gern, und arbeitet deshalb nicht weniger gern zusammen? Warum soll man sich nicht die Wahrheit unter die Augen sagen und trotzdem sich schätzen und achten?


Konferenzen II, S.246